von gru 23.02.2016 11:30 Uhr

Möglichst basisdemokratisch! Ein Interview zur Vorwahlzeit…

Am Sonntag werden in Tirol die Gemeindestuben neu besetzt. Die Zukunft bringt viele Herausforderungen, aber ebenso viele motivierte Kandidaten. Auch der amtierende Bürgermeister von Kartitsch, Josef Außerlechner, tritt wieder an. Wir haben mit ihm über aktuelle und langfristige Fragen gesprochen.
Josef Außerlechner, Bürgermeister von Kartitsch. Photo: Gemeinde Kartitsch

Josef Außerlechner ist 1969 geboren, verheiratet und Vater zweier Töchter im Alter von 4 und 6 Jahren. Von Beruf ist er Landwirt, er bearbeitet einen Bergbauernhof mit 13 Milchkühen, 33ha Wald und baut nebenbei kleinflächig Erdbeeren und Himbeeren an.

Er ist seit 1998 Gemeinderat und seit 2010 Bürgermeister der 808 Einwohner zählenden Gemeinde Kartitsch in Ost-Tirol.

Im Vorfeld der Wahlen haben sich die Kartitscher Listen – auf seinen Vorschlag hin – entschlossen, eine Urwahl durchzuführen: Jeder Bürger konnte auf einem weißen Blatt Papier seine Kandidatenvorschläge abgeben. Daraus wurde die Kandidatenliste für die Gemeinderatswahl gebildet.

Wir haben Josef Außerlechner zu aktuellen und Zukunftsthemen befragt.


 

UT 24: Sehr geehrter Herr Bürgermeister: Die Gemeindewahlen in Tirol stehen bevor, Sie treten wieder an. Doch in ihrer Gemeinde konnten sich die Bürger bereits im Vorfeld die Kandidaten aussuchen. Wie kam es dazu und warum hat Kartitsch hier einen neuen Weg der Mitbestimmung gewählt?

BM Josef Außerlechner: Seit jeher gab es bei uns die bündischen Listen der ÖVP (Bauern, Arbeiter, Wirtschaft), und meist noch eine Alternative Liste. Die bündischen Liste haben ihre Kandidaten meist mittels Vorwahl ermittelt und gereiht.
Da in der letzten Gemeinderatsperiode die Zusammenarbeit recht gut funktioniert hat, haben wir uns auf meinen Vorschlag hin entschlossen, eine gemeinsame Liste zu erstellen.
Dies vor allem deshalb, da es diese strenge berufsständische Abgrenzung zwischen Bauern, Arbeitnehmern und Gewerbetreibenden so nicht mehr gibt und alle unabhängig von ihrem Stand das Gemeinsame im Dorf sehen.
Möglichst basisdemokratisch konnte jeder der 676 Wahlberechtigten einen Bgm-Kandidaten und 22 Gemeinderäte vorschlagen. 250 haben diese Möglichkeit genützt. Anhand dieses Ergebnisses wurde die Liste erstellt. Vor allem unter den ersten 12 Rängen, haben sich fast alle bereit erklärt, auf die Liste zu gehen.
Bei der eigentlichen Wahl am 28. 02. hat der Wähler noch die Möglichkeit mittels 2er Vorzugsstimmen die Kandidaten nach seinen Vorstellungen zu reihen.

Eine kleine Gemeinde wie die Ihre ist mit zahlreichen alten und neuen Herausforderungen konfrontiert. Was ist Ihnen in den letzten 6 Jahren gelungen, was nicht?

Neben zahlreichen Infrastrukturprojekten wie Straßenbau, Wasserversorgung und Kanal, konnte die Volksschule und der Kindergarten generalsaniert werden. Mit der Errichtung einer Wohnanlage durch die OSG ist es uns gelungen, 12 Wohneinheiten zu schaffen. Ein großes Thema waren auch das 100 jährige Gedenken an den 1. Weltkrieg, der unser Dorf besonders berührt hat. Es gab viele Veranstaltungen und Aktionen, die große Ausstellung „Pro Patria“ und grenzübergreifende Projekte.
Ein großes Sorgenkind ist bei uns der Tourismus, wo die Nächtigungen stark rückläufig sind. Trotz großer Anstrengungen in diesem Bereich konnte hier keine Trendumkehr erreicht werden.

Bleiben wir beim Tourismus: Der Schnee ist heuer weitgehend ausgeblieben. Was unternimmt Kartitsch, um in einer Zeit des radikalen Wandels (Klimaveränderung, Alterung,…) wieder attraktiver zu werden?

Wir sind eines von 17 österreichischen “ Bersteigerdörfern“(eine Initiative des ÖAVs). Diese haben sich dem naturnahen, sanften, Tourismus verschrieben. Dabei werden die unverbrauchte Natur und- Kulturlandschaft, die Menschen und deren Lebensart in den Mittelpunkt gestellt und beworben.

Stichwort Abwanderung: Mittlerweile ein akutes Problem in ganz Osttirol, doch auch Teile Südtirols werden zunehmend erfasst. Man sagt, Kartitsch wäre die Gemeinde mit der höchsten Akademikerdichte Österreichs. Doch wie hält man die klugen Köpfe vor Ort?

Das ist sehr schwierig, da die Leute die studieren, zudem sehr fleißig und zielstrebig sind. Sie erhalten auswärts gute Jobangebote und da es in Osttirol wenige davon gibt, werden diese natürlich angenommen. Obwohl es heute möglich wäre mittels Internet, Datenverbindungen zu den Ballungszentren herzustellen, spielt natürlich auch das ganze Umfeld, das urbane Räume bieten, eine große Rolle. Positiv zu erwähnen ist, das es im Pustertal  durch die Ansiedelung zahlreicher Unternehmen – vorwiegend aus Südtirol – im Facharbeiter- und im Industriebereich gute Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Stichwort Breitband: Der Ausbau des Breitbandnetzes gilt als wichtiger Faktor zur Sicherung und zum Ausbau eines jeden Wirtschaftsstandortes. Doch Landgemeinden tun sich schwer, jeden anzuschließen. Ab wann wird sich ein IT-Unternehmen ruhigen Gewissens in Kartitsch ansiedeln können?

In den nächsten 3 Jahre werden die Hauptleitungen im Pustertal in das Villgratental und das Tiroler Gailtal fertiggestellt sein. Daneben werden auch die Netze innerorts nach und nach vervollständigt. Das heißt, ab 2018 ist in Kartitsch das FTTH verfügbar.

Wird das Osttiroler mit dem Südtioler Netz zusammengeschlossen werden?

Ein Zusammenschluss im Pustertal, mit Südtirol, ist von seiten der Gemeinden geplant und erwünscht. Dazu ist zu sagen, dass die Gemeinden bei uns das Breitbandnetz bauen…

Stichwort Landwirtschaft: Sie sind selber – mit 13 Kühen – ein Kleinbauer. Der Sektor Landwirtschaft wird zunehmend liberalisiert, Sie müssen Ihre Milch teilweise hunderte Kilometer weit transportieren lassen, um sie zu verarbeiten. Im Südtiroler Hochpustertal gibt es dagegen sogar 2 Sennereien. Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Milch nach Toblach oder Sexten zu liefern, ähnlich, wie Ihre Wipptaler Kollegen nach Sterzing?

Es gab auch bei uns immer wieder Überlegungen, vor allem wegen des besseren Milchpreises, nach Südtirol zu liefern. Bisher war das Echo von dort aus nicht sehr groß. Sollten sich aber von Südtiroler Seite neue Möglichkeiten ergeben, wären wir sehr interessiert.

Ihre Gemeinde grenzt an Venetien. Lange Zeit waren die jahrhundete-alten Kontakte zu Ihren südlichen Nachbarn eingeschlafen. Sie haben hier viel bewegt. Wo liegen die Chancen, wo die Schwierigkeiten dieser Zusammenarbeit?

Ich glaube, daß rund um die „Dolomiten“ noch ein großes Potential an Zusammenarbeit besteht. Vom Tourismus angefangen, über die Vernetzung mittels „Öffis“, den Austausch von Arbeitskräften oder Sportveranstaltungen, um nur einige zu nennen.
Die größte Schwierigkeit von Osttiroler Seite sind sicher die fehlenden Italienisch-Kenntnisse. Die Bürokratie, wo die Grenzen im Kopf und auf dem Papier noch eine große Rolle spielen, ist natürlich auch ein Hemmschuh.

Zum Schluss aus aktuellem Anlass: Was sagen Sie zu den Plänen der Bundesregierung, in Arnbach ein Grenzmanagement einzurichten?

Die geplanten Grenzzäune und die zahlenmäßige Begrenzung der Flüchtlinge ist meiner Meinung nach ein Hilfeschrei Österreichs an Europa und auch zurückzuführen auf den Druck der eigenen Bevölkerung. Der Zaun ist zweifellos ein großer Rückschritt, auch für die Europaregion Tirol, aber für uns ein notwendiges Übel. Europa muss hier über kurz oder lang eine gemeinsame Sprache und Antwort finden.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, wir danken Ihnen für das Interview!


 

 

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