von gru 22.01.2015 06:15 Uhr

Facebook-Eintrag: “Sillian ist tot”

"Sillian ist tot". So postete der Sillianer Manfred Gardéner zu Weihnachten auf Facebook und löste damit eine Lawine von Kommentaren, Diskussionen und heißen Wortgefechten aus. Um aus der freigewordenen Energie etwas Positives zu gewinnen, trafen sich gestern ca. 400 Bürger aus Sillian und Umgebung im Kultursaal zu einer Podiumsdiskussion.
Einladung des Forums der Tiroler Tageszeitung. Quelle: Facebook

Der 25. Dezember war der Tag es Anstoßes für Manfred Gardéner. Damals setzte er den mittlerweile berühmten Satz ab, der am 21.01.2015 über 400 Personen in den Kultursaal Sillian getrieben hat. Er hatte lediglich seinem Frust freie Bahn gelassen. Zahllose Kommentare und Zeitungsartikel warten die Folge.

Nun nimmt er in der von der Tiroler Tageszeitung organisierten Podiumsdiskussion zu seinen Aussagen Stellung. Neben ihm sitzen Roland Sint, der aus Sillian stammende Chef der „Wörthersee Tourismus GmbH“, Bürgermeister Erwin Schiffmann und, als Vertreter des Wirtschaftsbundes, Gemeinderat Hermann Mitteregger.

Manfred Gardéner

Man sei eine Tourismusgemeinde, sagt Gardéner, was sonst? Es gebe zu wenige Gasthäuser, zu wenige Privatvermieter, die Menschen ins Dorf bringen.

Die Mentalität der benachbarten Sextner sei eine ganz andere, da gäbe es eine viel größere Motivation zum Ausbau der Strukturen, mit dem Ziel, den großen Skigebieten in den Dolomiten und den Zentralalpen Konkurrenz zu machen.

In Sillian werde zu solchen Visionen nur gefragt: „Wozu brauchen wir das überhaupt?“

Es fehlt der Zusammenhalt

Die Diskussion auf Facebook sei nur ein Stein des Anstoßes gewesen, viele Kommentare habe er direkt gelöscht, da sie niveaulos gewesen seien.

Bürgermeister Erwin Schiffmann verweist auf die rege Tätigkeit der Vereine, und bezeichnet die Aussage “Sillian ist tot” als „grobes Foul“ gegenüber den ehrenamtlich Tätigen.

Bürgermeister Erwin Schiffmann

Die Diskussion um „Sillian ist tot“ dürfe sich nicht nur auf den Tourismus beschränken, das Umfeld in der Gemeinde sei vorhanden, darauf müsse man aufbauen.

Seit 1998 ist Herr Schiffmann im Amt und glaubt, Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung geschaffen zu haben. Er zählt in seiner ersten Stellungnahmen minutenlang eine Reihe von Maßnahmen zur Belebung des Dorfes, zur Entwicklung des Tourismus und zur Modernisierung der Infrastrukturen auf.

Der Vertreter der Wirtschaft, Hermann Mitteregger

Er betont das breite Spektrum der im Dorf vorhandenen Betriebe und stellt ebenfalls die provokante Aussage des Initiators Manfred Gardéner in Frage.

Die Diskussion sei mehr auf den baulichen Zustand des Dorfzentrums bezogen, sei auch von diesem Punkt ausgegangen. Er bezeichnet das Thema „Dorfzentrum“ als „leidige Gschicht“, es sei nicht gelungen, die Filialen der Diskounter, die sich heute in der Peripherie befinden, ins Herz Sillians zu holen.

Die Erweiterung der Skigebiete liege hingegen nur sehr beschränkt in der Hand der Gemeinde.

Der Tourismusfachmann

Roland Sint ist der Meinung, dass ein klares Selbstbild fehlt, man weiß weder, wo man steht, noch, wer man eigentlich ist.

Die Diskussion auf Facebook neige oft zur Glorifizierung der Vergangenheit. Man müsse wissen, welches Angebot man an welche Gästeschicht machen möchte.

Sagt man heute den Satz, „Sillian ist…“ würde man keine Antwort darauf wissen.

Ein Handwerkerdorf? Ein Tourismusort? Ein Schulstandort?

Was ist Sillian?

Es gäbe ein touristisches Potential, man muss aber einen Erlebnisraum schaffen.

Die Buchungsstruktur habe sich geändert: Der Gast kauft schmale Leistungen und entscheidet sich dann vor Ort, zu tun, was er möchte. Das biete Chancen für das Dorfzentrum.

Aber man müsse aber innovativ sein und sich vergegenwärtigen, dass z.B. in der Schweiz mittlerweile 70% der Buchungen über booking.com abgewickelt werden.

Topthema Skilifte

Der Ausbau des Liftes auf den Thurntaler und die Verbindung mit den Liften in Sexten würden einen touristischen Großraum schaffen, der in die Strategie der Region Osttirol passen könnte.

Dass der Ausbau der Liftanlagen wegen einer Vogelart gestoppt wird, ist für Sint unverständlich.

Es brauche für solche großen Konzepte aber eine Anlaufzeit von ca. 10 Jahren. Was müsste man zuerst tun? Laut Sint in Infrastruktur investieren, um Gäste anzuziehen und in der Folge würde auch die private Initiative folgen.

Man müsste jedoch durch ein unverwechselbares Angebot punkten.

Aber: Eine Marke am deutschen Markt zu positionieren koste im Jahr zur Zeit ca. 10 Millionen Euro.

Vergleich Velden

In Velden am Wörthersee sei z.B. auch durch ein neues Verkehrskonzept eine Verschönerung des Dorfzentrums erreicht worden. In Sillian müsse man zudem einen Weg finden, auch vom Kuchen des Süd-Tiroler Hochpustertals zu profitieren.

Gemeiderat Peter Leiter eröffnet die erste Runde der Diskussion und betont, dass man weit über die Gemeindegrenzen hinaus blicken muss, um Entwicklungen im Großraum zu strukturieren.

Man sollte das Kirchturmdenken aufgeben, um in der Region gemeinsame Projekte zu realisieren. Wo sind die Gelder in der Region am besten investiert? Das muss die Frage für die Zukunft sein.

Kirchtrumdenken ade

Bürgermeister Schiffmann wird nach einem Konzept für die nächsten 10 Jahre gefragt und verweist auf das zentralisierte Management in Lienz.

In den letzten Jahrzehnten habe es gewaltige Einbrüche bei den Privatzimmervermietern gegeben, die Gäste der Großhotels betreten das Dorf praktisch überhaupt nicht mehr. Es müssen wieder mehr Initiativen gestartet werden, aber es muss von den Bürgern ausgehen.

„Ist Sillian überhaupt noch eine Tourismusregion?“ fragt Bürgermeister Schiffmann.

Er prognostiziert einen weiteren Rückgang der Bettenzahlen.

Die Ortsumfahrung: Ein heikles Thema

Ein weiteres heikles Thema, die Umfahrung von Sillian, sei an der Ablehnung der Grundbesitzer gescheitert, das Geld sei weg. Da sei man wieder bei Null.

Aus dem Publikum gibt es differenzierte Kommentare:

Redet man im Kreis? Was will man sein? Ein Problem im Ort sei, dass man sich gegenseitig zu oft nichts gönnen würde. Persönliche Abneigung zwischen Vereinen, Lokalbesitzern und einzelnen Akteuren verhindere das Miteinander und das Entstehen von Neuem.

Jeder auf dem Podium liege grundsätzlich nicht falsch, der Knackpunkt sei aber der Tourismus: Osttirol sei nur das kleine Anhängsel an Nordtirol, auch gebe es am Podium keinen Verantwortlichen des Tourismusverbandes.

Reaktionen aus dem Publikum

Man dankt Manfred Gardéner für seine Initiative.

Ein Bürger läßt den Saal schallend auflachen, als er berichtet, dass er auf seinem täglichen Abendspaziergang mit seinem Hund in den letzten 8 Jahren nie jemanden hat grüßen müssen, da das Dorf ausgestorben sei.Der Gast gehe dorthin, wo ums gleiche Geld mehr geboten werde. Würde das grenzüberschreitende Skigebiet kommen, wäre man mittendrin im Geschehen, dann wäre man eine Konkurrenz für den Kronplatz bei Bruneck.

Nachdem die Probleme mit dem Zusammenschluss Helm-Rotwand gelöst habe, müsse nun der grenzüberschreitende Zusammenschluss gesucht werden. Inzwischen sei aber die Namensgleichheit mit dem Süd-Tiroler Hochpustertal noch ein Problem.

Skitechnischer Zusammenschluss: Das Allerheilmittel

Bürgermeister Schiffmann sieht auch bei der Skischaukel Sillian-Sexten noch Probleme zu lösen: Dolomiti Superski will keinen Kartenverbund ohne skitechnische Verbindung. Es wäre wieder Bewegung in die Sache hineingekommen, nur müsse auch die Politik mitspielen, womit Sillians Bürgermeister mehrmals die Grünen als Regierungspartei anspricht. Gegenüber den Liftbetreibern sei die Landespolitik nicht redlich gewesen, man habe sie im Regen stehen lassen.

Hermann Mitteregger sieht weniger Probleme mit der skitechnischen Verbindung: Durch den neuen Zug zum Skigebiet Helm sei schon der erste Schritt gemacht worden.

Das Projekt “Miteinander”

Auch das Projekt „Miteinander“ wurde vor wenigen Monaten in Sillian gestartet, UT 24 hat darüber berichtet.

Die Projektleiterin Karin Klammer erklärt aus dem Publikum heraus das Konzept des Projektes: Man wünsche sich mehr Treffpunkte, mehr gemeinsame Aktivitäten, auch in kleinem Rahmen. Ein Projekt wie das „Reparaturcafe“ sei nur eine von vielen Ideen.

Abschließende Statements

Bürgermeister Schiffmann ruft trotz der berechtigten Kritik dazu auf, sich den Wohlstand den man erreicht hat, regelmäßig zu vergegenwärtigen und ihn nicht als selbstverständlich zu betrachten.

Roland Sint bricht alle Konzepte im Tourismus darauf herunter, dass es reicht, daran zu denken, was für die eigenen Bürger gut ist, denn dies wird auch für die Gäste das beste sein.

Manfred Gardéner leitet mit seinem letzten Statement das Ende der Veranstaltung ein:

Er würde sich diesen Kommentar zum heutigen Zeitupunkt sicher verkneifen, er habe niemanden beleidigen wollen, aber er freue sich, dass dadurch Bewegung und Diskussion entstanden sei.

 

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