von ts 11.12.2014 18:12 Uhr

Der verhüllte Laurinbrunnen: über Bozens Neofaschisten

Anhänger von Casapound bei einem Aufmarsch in Bozen - Foto: UT24

In den frühen Morgenstunden haben am 10. Dezember Mitglieder der neofaschistischen Organisation „Casapound“ den Laurinbrunnen vor dem Südtiroler Landtag in Geschenkpapier verhüllt, um sich mit einem ironisch gemeinten „Weihnachtsgeschenk“ bei der Südtiroler Landes- und der Bozner Stadtregierung unter anderem für „Unterstützung von Privatschulen, zunehmender Verschmutzung, Gewaltkriminalität und Diebstählen, Flüchtlingsheimen, steigender Jugendarbeitslosigkeit und sinkendem Lebensstandard“ zu „bedanken“ (wir berichteten).

Laut Casapound sind dies Bozens dringendste Probleme und die Landes- beziehungsweise Stadtregierung dafür verantwortlich.

Sicherheitslage in Bozen

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Südtiroler Lebensqualität zur Zeit rapide sinkt und die Kriminalität – gerade in Bozen und Umgebung – in den letzten Jahren stark zugenommen hat.

Umso befremdlicher ist es, dass bei den vielen Sicherheitsgipfeln, die es in den letzten Wochen immer wieder gab, die staatlichen Ordnungskräfte und Bürgermeister Spagnolli versuchen, das bestehende Problem kleinzureden oder gar zu leugnen.

Jedoch verwundert es, dass die italienische Rechte gerne den Bozner Bürgermeister für das Kriminalitätsproblem verantwortlich macht, da dies eindeutig Aufgabe der staatlichen Sicherheitsbehörden ist.

Neben den Neofaschisten von Casapound kreidet beispielsweise auch Rechtsaußen Alessandro Urzì, Landtagsabgeordneter der Partei „L’Alto Adige nel cuore“, Spagnolli an, dass zu wenig für die Sicherheit getan werde.

Zuständigkeit liegt in Rom

Dabei weiß aber Herr Urzì, als Sohn des früheren Regierungskommissärs Mario Urzì, natürlich von Kindesbeinen an, in wessen Aufgabenbereich die öffentliche Sicherheit fällt und kennt auch die Schwächen der staatlichen Polizeibehörden – gerade die fehlende Koordinierung zwischen Staatspolizei und Carabinieri.

Wer also die Sicherheitslage, aber auch die Anzahl von Flüchtlingen in Bozen, als problematisch einstufen möchte, darf nicht vergessen, dass ausschließlich Rom bei diesen Themen Entscheidungsbefugnis hat. Insofern darf man gespannt sein, ob die italienische Rechte ihre Protestkundgebungen, ob nun gerechtfertigt oder auch nicht, irgendwann vor dem Sitz von Roms höchstem Vertreter in Bozen – dem Regierungskommissär – abhält.

Verschmutzung der Stadt

Zu einem positiven Stadtbild gehört neben der öffentlichen Sicherheit auch die Sauberkeit. Gerade Touristen wundern sich, dass Bozen in den letzten Jahren um einiges schmutziger geworden ist und im Vergleich zu anderen Tiroler Städten hier sehr schlecht abschneidet. Hier sind gewiss konkrete Maßnahmen des sonst bisher eher entscheidungsscheuen Bürgermeisters gefragt.

Jedoch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn sich die Casapound-Gruppierung über die geringe Sauberkeit der Stadt beklagt, da gerade sie oft durch Wandschmierereien und illegale Plakataktionen auffällt.

Wer ist Casapound?

Casapound Bozen konnte sich in den letzten Jahren durch kluge Werbeaktionen des Öfteren erfolgreich in der Öffentlichkeit präsentieren. So gelingt es ihnen, mit neutralen, unverfänglichen Themen, wie zum Beispiel Tierschutz oder Leistbares Wohnen aufzutreten.

Bei genauerem Hinsehen kommt jedoch ihre rechtsextreme Weltanschauung zum Vorschein: sie selbst bezeichnen sich als „Faschisten des dritten Jahrtausends“ und fallen teilweise mit faschistisch-nationalsozialistischer Symbolik auf. Ihre führenden Köpfe sind wegen Verherrlichung des Faschismus aber auch wegen Körperverletzung vorbestraft.

Die Verhüllung

Die Verhüllungsaktion der Neofaschisten hatte gewiss nicht zum Ziel, den Laurinbrunnen zu beschädigen oder gegen ihn zu protestieren. Vielmehr gehört es zur neuesten Kommunikationsstrategie von Casapound, Objekte zu verhüllen um gegen Missstände – beziehungsweise vermeintliche Missstände – zu protestieren. So verpackten sie am 2. Dezember in Trient eine Bärenskulptur, um gegen den Tod der Bärin Daniza zu protestieren.

Der Laurinbrunnen

Der Laurinbrunnen erfreut sich bei Boznern und Touristen seit seiner Errichtung 1907 größter Beliebtheit. Er symbolisiert eine der schönsten Tiroler Sagen – den Zwergenkönig Laurin, Herr des Rosengartens.

1933 wurde das Denkmal von Faschisten beschädigt, 1934 von Bozen abtransportiert. Damit bezweckte die totalitäre Diktatur die Entfernung aller österreichischen Erinnerungen aus Südtirol – so wurde beispielsweise auch Bozens bekanntestes Wahrzeichen, das Walther-Denkmal, entfernt. Walther durfte erst 1981, Laurin gar erst 1994 (!)  wieder nach Bozen zurück.

Künstliche Polemik um Laurinbrunnen

Umso unverständlicher war die Forderung des grünen Landtagsabgeordneten Riccardo Dello Sbarba im Januar 2011, der Brunnen möge an eine andere, weniger sichtbare, Stelle verlegt werden. Die verärgerte Reaktion der Bozner Bevölkerung ließ ihn schnell zurückrudern. Bozner beider Sprachgruppen wollten ihren Laurin vor dem Landtag behalten.

Dello Sbarbas Versuch, den Brunnen als negatives, trennendes Symbol darzustellen, missglückte völlig. Vielmehr musste er sich zunehmend die Frage gefallen lassen, warum er als Grüner nicht auch für die Verlegung der faschistischen Denkmäler in Bozen – zum Beispiel das „Siegesdenkmal“ und das Mussolinirelief vor dem Gericht (!) – sei.

Dieser Frage entzog er sich mit dem Pauschalargument, man müsse faschistische Denkmäler „historisieren“. Wie eine sogenannte „Historisierung“ in der Realität aussieht, kann man im Kellermuseum des „Siegesdenkmals“ betrachten, in dem zwar die Baugeschichte des Denkmals ausführlich geschildert, eine klare Verurteilung des Faschismus aber komplett fehlt.

Hat Bozen ein Faschismusproblem?

So zieht sich der Faschismus – des zweiten und des dritten Jahrtausends – wie ein roter Faden durch Bozens Vergangenheit und Gegenwart: die Überreste der Gewaltdiktatur dürfen bleiben, bestenfalls vermeintlich „historisiert“, schlimmstenfalls noch in voller „Pracht“, wie zum Beispiel der reitende Mussolini vor dem Gericht.

Casapound freut sich über den freien Zugang zum „Siegesdenkmal“, zeigt sich in der Öffentlichkeit mit stramm ausgestrecktem Arm und feiert italienische Fußballsiege mit Mussolinifahnen.

Werden die Fußballfeiern der Neofaschisten kritisiert, so leugnet Luigi Spagnolli einfach, dass Faschisten mitgefeiert hätten – trotz Bildbeweis – und fügt noch hinzu, dass Feiern in anderen Städten viel schlimmer seien.

Vertreter der italienischen Rechtsparteien legen – trotz bürgermeisterlichem Verbot – Kränze vor dem Faschistentempel nieder. Der Bürgermeister protestiert und tut danach – nichts.

Was Bozen dringend braucht, sind konkrete Schritte gegen den Faschismus. Es wurde zu lange weggeschaut, es wurden zu viele Symptome geleugnet.

(Neo)Faschismus – Nein danke!

Es ist an der Zeit,

  • von Rom die restlose Beseitigung der faschistischen Denkmäler zu fordern, statt darum zu betteln, irgendwo in der Nähe ein „erklärendes“ Täfelchen oder einen Leuchtring anbringen zu dürfen.
  • Casapound nicht mehr Räumlichkeiten des öffentlichen Wohnbauinstituts mit vergünstigtem Mietzins zur Verfügung zu stellen.
  • die faschistischen Straßennamen in Bozen beseitigen (z.B. Reginaldo-Giuliani-Straße, Antonio-Locatelli-Straße und Amba-Alagi-Straße und natürlich der Siegesplatz selbst).
  • offen anzuerkennen, dass Bozen ein bestehendes Faschismusproblem hat und dass man alten und neuen Faschisten nicht mehr widerstandslos die Selbstinszenierung im öffentlichen Raum ermöglicht.
Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite