Florian Stumfall

01.08.2023

Was vom Faschismus blieb

Vor hundert Jahren am 12. März kündigte der „Großrat des Faschismus“ in Italien einen weitreichenden Entschluss an: „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Assimilierung“. Es ging darum, die deutschen Südtiroler und ebenso die Ladiner ihrer kulturellen Wurzeln zu berauben und alles zu tilgen, was daran erinnern könnte. Die Maßnahmen umfassten 32 Punkte, wobei die Aufzählung einiger weniger bereits einen Eindruck von dem gibt, wie der italienische Faschismus vorzugehen gedachte.

Das 1926 bis 1928 in Bozen errichtete „Siegesdenkmal“ – Monument faschistischer Macht und Herrschaft, Aufnahme um 1930 - Foto: © Sammlung Robert Amort, L82720 – TAP

Die deutschen Beamten sollten entlassen und italienische Gemeindesekretäre ernannt werden; Deutsche verloren das Recht, nach Südtirol einzuwandern; alle Alpenvereine und der „Deutsche Verband“ seien aufzulösen; der Name „Südtirol“ solle einem Verbot verfallen; die Zuwanderung von Italienern sei zu fördern und gleichzeitig deren Grunderwerb zu begünstigen; das Denkmal Walthers von der Vogelweide, des großen deutschen Minnesängers aus dem Mittelalter, sei vom Waltherplatz in Bozen zu entfernen; italienische Kindergärten sowie Volks- und Mittelschulen sollten errichtet und das „Istituto di Storia per l’Alto Adige“ errichtet werden – eine Einrichtung mit dem offensichtlichen Auftrag, die Geschichte zuungunsten alles Deutschen umzuschreiben. Der entscheidende und am längsten wirksame Plan aber war derjenige, die deutschen Orts- und Flurnamen durch italienische zu ersetzen.

Die 32 Punkte des faschistischen Großrates (UT24 berichtete) waren lange vorbereitet worden, insbesondere dieses wesentliche Vorhaben des Verbots deutscher Orts-, Fluss- und Flurnamen. Damit verbindet sich der Name eines Mannes, dessen persönlicher, fanatischer Deutschenhass vor 100 Jahren und dann vor allem nach Benito Mussolinis Machtergreifung zum politischen Programm geworden ist: Ettore Tolomei.

Namen wurden ersetzt

Dieser, ein Historiker und Linguist, wurde 1890 Herausgeber der nationalistischen Zeitschrift „La Nazione Italiana“ und begann bereits einige Jahre darauf damit, für die deutschen Bezeichnungen von Städten und Dörfern, Weilern, Fluren und Bergen italienische Gegenstücke zu erfinden. Trotz seiner Vorbildung misslang ihm das teilweise in blamabler Weise, so etwa, wenn er das Dorf Lengmoos auf dem Ritten in „Longomoso“ umbenannte, oder aber beim Beispiel Sterzing auf ein altrömisches Legionärslager zurückgreifen musste, beides in Ermangelung eines wirklichen italienischen Bezugs.

Doch nicht immer und überall zeigten sich Tolomeis Bemühungen als der Schwindel, der sie waren. Tatsächlich errangen sie sogar geschichtliche Bedeutung. Nach dem Ersten Weltkrieg erhob Italien, Siegermacht der zweiten Hand, Ansprüche auf Südtirol, entsprechend der Tolomeischen Lehrmeinung, Grenzziehungen müssten nach den Wasserscheiden verlaufen. Man wusste es so einzurichten, dass dem US-Präsidenten Woodrow Wilson, der von Politik wenig und von Europa gar keine Ahnung hatte, eine Karte vorgelegt wurde, auf der für Südtirol die Tolomeischen Namen eingezeichnet waren. Darunter auffällig: der Klockerkarkopf im hintersten Ahrntal nahe der heutigen Grenze zu Österreich, den Tolomei in „Vetta d’Italia“ umbenannt hatte – Spitze Italiens.

Wilson also las einen italienischen Namen und für ihn war damit klar, dass das betreffende Gebiet Rom zuzuschlagen sei. Damit hatte Wilson gegen den wohl wichtigsten seiner eigenen, berühmten und nagelneuen 14 Punkte für ein gedeihliches Zusammenleben verstoßen, nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

So kam Südtirol mit seiner deutschen und ladinischen Bevölkerung unter die römische Oberhoheit, was während der Zeit des Faschismus zu einer immer gnadenloseren Unterdrückung führte. Dessen ungeachtet sah sich jeder getäuscht, der gehofft haben mochte, nach dem Zweiten Weltkrieg würden sich für Südtirol wie von selbst die Dinge zum Besseren wenden. Zwar brachte das sogenannte Paket eine vorübergehende Beruhigung und Erleichterung, aber die Ortsnamen-Dekrete von 1923 – bestätigt in den Jahren 1940 und 1942 – bestehen bis heute weiter.

So war denn auch das „Paket“ bei den Südtirolern nie unumstritten, ungeachtet des hohen Ansehens, das der damalige Landeshauptmann Silvius Magnago genoss, der es mit Rom ausgehandelt hatte. Die Tiroler Gebirgsschützen etwa haben bis heute Bedenken. Zu den Ortsnamen-Dekreten etwa heißt es: „Immer wieder gab es Versuche im Südtiroler Landtag, sie abzuschaffen, doch sämtliche Anläufe scheiterten an der fehlenden Zustimmung durch die Südtiroler Volkspartei, von den italienischen Parteien und den Grünen ganz zu schweigen. Besonders erschreckend ist hierbei, dass heutzutage mehr denn je so getan wird, als seien die konstruierten italienischen Namen das Selbstverständlichste auf der Welt.“

Der Schützenbund, so weiter, sei sich bewusst, dass eine Diskussion über das Thema langwierig und aufwendig würde, aber: „Eine historische Lösung der Ortsnamenfrage ist ein ehrlicher, gerechter und friedlicher Ansatz. Die faschistischen Fälschungen sind hierzu nicht geeignet und unterstreichen bis heute die Intention der Faschisten von 1923.“

Hoffnungen wurden enttäuscht

In ähnlicher Weise argumentiert die „Süd-Tiroler Freiheit“, eine im Landtag vertretene Partei, die sich für das von Wilson beschworene und versagte Selbstbestimmungsrecht einsetzt: „Die Toponymie im Gebiet des heutigen Süd-Tirol ist, trotz Pariser Vertrag und Autonomie-Status, seit dem Faschismus de iure dieselbe geblieben.“

Hoffnung auf eine tragfähige und gerechte Lösung der Südtirol-Frage wurde im Zusammenhang mit der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament im Jahre 1979 geweckt. Europa sei die Plattform, auf der derlei verhandelt werden könne, und seine Prinzipien gäben dafür die rechte Orientierung, so hieß es damals. Doch diese Hoffnung war nicht die einzige, die mit Blick auf die EU zuschanden wurde. Das zeigte sich sehr schnell anhand einer bemerkenswerten Personalie: Südtirol konnte damals einen einzigen Parlamentarier nach Straßburg schicken. Doch dieser, Joachim Dalsass von der Südtiroler Volkspartei, schloss sich nicht etwa einer italienischen Partei an, sondern der bayerischen CSU.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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