Ein Blog von

Georg Dekas

27.10.2018

Wahlausgang und Wahlausblick

Wahlausgänge werden gerne beredet und vielfach gedeutet. Geradezu babelisch sind die Kommentare zum Ausgang der Südtiroler Landtagswahlen vom 21. Oktober. Kein Wunder, es hat sich ja allerhand verändert. Am meisten ins Kraut schießen die Vermutungen über die Ursachen von Erfolgen der einen und Verlusten der anderen. Zu den abstrusesten Begründungen gehört hierher die Behauptung von Arno Kompatscher, er sei ein Opfer der Namensgleichheit mit Kompatscher Franz, und zum zweiten die Behauptung eines Online-Blattes, der Doppelpass hätte die deutschen Oppositionsparteien erledigt.

APA (Wimmer)

Demokratie funktioniert

Schauen wir einmal ganz unakademisch, unjournalistisch und im wahrsten Sinn des Wortes unparteiisch auf diesen überraschenden Wahlgang. Das erste, was festzustellen ist: Die Demokratie funktioniert (Wahlgesetzen zum Trotz, wo jemand mit 516 Stimmen das Volk vertreten darf, jemand anderer mit 5.160 Stimmen aber ausgeschlossen wird). Die Demokratie lebt und gedeiht, denn es sind viele neue Gesichter im Landesparlament aufgetaucht, auch jüngere. Es haben sich ethnischen und gesellschaftlichen Gewichte verschoben, und zwar so, wie es den Vorstellungen des Volkes entspricht.

Die zwei Neuen

Wir konnten der Geburt zweier neuer politischer Subjekte beiwohnen – einmal der Liste Paul Köllensperger auf deutscher Seite und einmal der Salvini-Lega auf italienischer Seite. Mit der Lega haben die Italiener im Lande endlich eine neue politische Heimat gefunden. Salvini verkörpert den Volksitaliener wie kein zweiter. Rechts und links sind für ihn keine Kategorien mehr. Er will Europa und seinen „Ober-Professoren“ (wie Prodi, Monti) in den Arsch treten, weil sie weder die wilde Einwanderung aus Afrika stoppen noch die italienischen Arbeiter von Steuerlast und Daseinssorgen befreien können. Er will eine Ordnung im Staat, die dem Biedermann gefällt, aber auch freies Unternehmertum (flat tax) und sozialstaatliche Heimeligkeit. Alles in allem darf es dabei keine Prinzipen- und Programmreiterei geben. Selfies, Twitter und die allgegenwärtigen Kameras und Mikrofone verlangen ohnehin Statements „just in time“. Was gefällt Italienern mehr als das?

Paul Köllensperger könnte als Persönlichkeit nicht gegensätzlicher sein als Matteo Salvini, und doch sind Ähnlichkeiten auszumachen. Auch das „Team Köllensperger“ lehnt das Links-Rechts-Schema ab, will unternehmerfreundlich und zugleich sozial sein und versteht sich wie die Lega als Gegenkraft zum Polit-Establishment mit seinen festgefahrenen Planetenbahnen.

Dem „Kölli“ ist es aus dem Stand heraus geglückt, eine Schar mit einheimischem Stallgeruch zusammenzustellen. Sie verkörpert den bodenständigen, freien Mittelstand, der stolz ist auf seinen Individualismus und sich Gruppenzwängen und Denkschablonen verweigert. Jetzt sitzen die Köllner zu sechst im Landtag. Die von der Lega zu viert. Man darf sich wundern. Man darf die eigenen Verluste an die beiden Newcomer bedauern. Letztlich aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass alles ein Ausdruck von unsichtbaren tektonischen Plattenbewegungen im Inneren unserer Gesellschaft ist.

Was heißt schon Verlierer?

Die staatstragende Südtiroler Volkspartei, die praktisch seit Kriegsende die Landesregierungen und die Nomenklatura unterm Rosengarten stellt, hat zwar „die Absolute“ eingebüßt, ist aber nach wie vor stärkste Partei. Nach einer eher verpfuschten Legislaturperiode ist die SVP personell erneuert und scheint hoch motiviert: Wirtschaft, Bauern und Jugend gestärkt und verjüngt, der übersatte soziale Flügel und die nervigen Frauenrechtlerinnen angemessen gestutzt, was will das bürgerliche Herz mehr?

Es kommt noch besser: Die SVP hat jetzt die Qual der Wahl. So tolle Möglichkeiten für Regierungskoalitionen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Ist die Volkspartei klug, dann wird sie mit genau den beiden frischen starken Kräften, die der Wählerwille hervorgebracht hat, eine natürliche Koalition eingehen und sich so bei den Wählern ein Guthaben erwirken, das weit in die Zukunft hinein wirkt. Ist die Volkspartei befangen oder vielleicht sogar neidisch auf Köllis „SVP 2.0“ und geht eine andere Koalition ein, z.B. eine Koalition der relativen „Verlierer“, SVP-Grüne-PD-M5*, dann vergrößert sie ihre Hypothek und sie wird 2023 bei der nächsten Wahl höchstwahrscheinlich auf heutiges SPD-Niveau sinken. Nicht unattraktiv, sowohl für Regierung als auch Opposition, wäre eine Koalition SVP-Kölle-Repetto. Mal sehen.

Das „patriotische Lager“ ist kein „Lager“

Was aber sagt man zum Wahlergebnis von Freiheitlichen (F), Süd-Tiroler Freiheit (STF) und Bürger-Union (BU)? Bei den Freiheitlichen redet man von „Absturz“ (6 auf 2 Abgeordnete).  Die STF hat ganz knapp das Halten ihrer drei Mandate verfehlt, von Zuwachs keine Spur. Der Einzelkämpfer Pöder (BU), der schon das letzte Mal nur mit Reststimmen zum Zuge kam, hat es diesmal endgültig nicht mehr derpackt.

Für die Linken sind alle diese drei Parteien das „patriotischen Lager“, dessen Schrumpfung von 27% auf 12% der Wählerstimmen sie jetzt schadenfroh genießen. Doch da machen sie einen Denkfehler. Da gibt es kein „Lager“.

Von einem „Lager“ könnte man sprechen, wenn beispielsweise die Damen und Herren mit patriotischer Gesinnung sich im Namen der Einigkeit Tirols zu einer einzigen Partei zusammengeschlossen hätten (auch wenn das italienische Wahlgesetz die Verkrümelung von Parteien begünstigt). Deren Abgeordnete hätten beispielsweise ihr italienisches Salär freiwillig dem der Landtagsabgeordneten im Bundesland Tirol angepasst – also nach unten. Von italienischen Leibrenten und Pensionsvorschüssen gar nicht zu reden.

Dass führende Persönlichkeiten einer Partei bei den Schützen sind, genügt auch nicht, um diese Partei als rechts und „sezessionistisch“ einzustufen – ein Thomas Widmann (SVP) zum Beispiel ist auch Schütze.

Drei Parteien, drei Geschichten

Nein, die drei deutschen Oppositionsparteien haben eine sehr unterschiedliche Haltung zu Volkstum, Selbstbestimmung und Tirol – offen gesagt, eine zu unterschiedliche. Andreas Pöders Ein-Mann-Fraktion etwa hat sich tagespolitisch schon lange als Partei des kleinen, widerspenstigen  Mannes/Frau positioniert, der gegen die (Gesetzes-)Taten der Landesregierung „anbellt“. Darin hat er es zur Meisterschaft gebracht, aber mit „Patriotismus“ hat das weiter nichts zu tun.

Die Freiheitlichen haben eine ähnliche Entwicklung genommen. Als ihnen der Leitstern Jörg Haider abhandengekommen war, navigierten Pius Leitner und Ulli Mair auf Sicht. Sie dachten sich ein Freistaat-Konzept aus, dem der große Atem fehlte. Es roch nach engstirniger Kleinstaaterei. Und sie erfanden die „Ausländer raus“/“Einheimische zuerst“-Politik für Südtirol. Folge: Massenzulauf. Längst nicht nur von Patrioten, sondern mehr noch von Zeitgenossen, die schon viel genießen, aber sich immer und überall zu kurz gekommen sehen. Mit anderen Worten: Es haben weniger bürgerliche und heimatverbundene Wähler all die Jahre herauf zum „F“ gehalten als vielmehr jene, die der SVP Beine machen wollten für eine radikalere Sozialpolitik. Also auch hier weniger das „Patriotische“ im Vordergrund als vielmehr das, was man heute als Populismus bezeichnet. Und der Populismus, der kann jede beliebige Partei- und Landesfarbe annehmen, wie wir gelernt haben.

Später, als Blaas, Tinkhauser und Oberhofer etwas mehr Luft in der blauen Partei bekamen, bemühten sich die Freiheitlichen um konstruktive Oppositionspolitik im Tagesgeschäft, drangen dabei aber nie so richtig durch. Es folgte der fatale Sager von der Bombe, die man nicht platzen lassen konnte. Damit war das Schicksal der Blauen Ära Leitner/Mair besiegelt. Sollte das die neue Freiheitlichen-Führung der F nicht begriffen haben, dann wäre dies ein wesentlicher Grund, ihr die Mitverantwortung am Absturz der Partei im Landtag zu geben.

Die Südtiroler Freiheit ist von den drei genannten Parteien jene, die sich am meisten dem Prädikat „patriotisch“ im politischen Sinn nähert. Ihre oberste Maxime ist das „Los von Rom“ mit demokratischen Mitteln. Unabhängig von Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit ist das hoch gesteckte Ziel eine „Marke“, deren Wert sich nicht in der Anzahl von Abgeordneten in einem – de jure – italienischen Landesparlament misst. Die Idee steht darüber. Ihrer Marke entsprechend hat die STF viel Landtagspolitik mit Österreich-Bezug gemacht (LKW-Transit, Reschenbahn, Sportkader), wohl wissend, dass das nicht die Straßenfeger sind. So wird auch verständlich, dass viele Südtiroler, so sehr sie das oberste Ziel der STF teilen, dennoch nicht die STF in den Landtag wählen, sondern eine andere Partei. Möglicherweise sehen sie Alltagsbelange bei einer Regierungspartei besser aufgehoben als bei einer Oppositionspartei.

Neben der nationalen Selbstbestimmung ist der Kampf gegen die Überbleibsel des italienischen Faschismus in Südtirol das zweite politisch-ideologische Standbein der STF. Diese besondere Art von „Antifa“  ist, so wie die Selbstbestimmung, ein edles, seiner Natur nach jedoch ein Minderheitsprogramm. Leider hat sich die STF regelrecht darin verbissen. Wer einem linken italienischen Bürgermeister einen Gips-Mussolini vor die Nase setzt und auch noch stolz auf eine solche Marketing-Aktion im italienischen Stil ist, der hat wenig Gespür für gediegenes Heimatbewusstsein.

Drei Parteien, aber nur eine Zukunft

Zusammenfassend sind die drei genannten Parteien von den Südtiroler Wählern ziemlich gerecht bedacht wurden (auch wenn sich das einzugestehen sehr bitter ist). Gänzlich falsch ist es, daraus den Schluss zu ziehen, dass den Südtirolern Heimat, Selbstbestimmung und Vaterland um dieses Weniger auch weniger bedeuten. Abgestimmt wurde bei dieser Wahl nicht über höhere Ideale und strategische Ziele, sondern über Sitze in einem Landesparlament italienischen Rechts. Dort vertreten zu sein ist absolut wichtig, aber als gesamte österreichische Minderheit in Italien, nicht notwendigerweise als diese oder jene Partei.

Die Frauen und Mannen von F, STF und BU sollten sich jetzt zusammensetzen, wenigstens für einen einzigen „Gipfel“, und sich klar machen, wofür sie stehen und wie sie Sachpolitik und Grundsatzpolitik einerseits sauber trennen und andererseits gemeinsam durchführen können. Dabei würde sich auch das eine oder andere Personalproblem lösen und schon es geht wieder bergauf. Das klar verlorene Match dürfte in den nächsten fünf Jahren genug Gelegenheiten bieten, sich auf der Tiroler Seite neu und seriös zu positionieren.

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