Ein Blog von

Georg Dekas

11.03.2019

Patriotismus hat Zukunft 

„Wir haben die Verpflichtung für das Gemeinwohl allein dem Staat aufgebürdet und Firmen und auch die Familie gänzlich von ihrer moralischen Verantwortung für das Gemeinwesen enthoben“, sagt der Wissenschaftler Sir Paul Collier. Und: “Wir müssen anerkennen, dass der Einzelne durch seine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl erst Würde und Selbstachtung erlangt. Schlussfolgerung: „Also müssen wir auf der lokalen Ebene anfangen, einen Patriotismus zu etablieren, und ihn schrittweise ausweiten“. Worte eines Weltoffenen.

Kirschblüte Kranz Foto Pixmartin auf Pixabay

Sir Paul Collier hat jüngst die deutsche Fassung seines Buches über die Zukunft des Kapitalismus herausgegeben. Überraschung: Der Oxford-Ökonom sieht im Patriotismus das Mittel gegen den Zerfall unserer Gesellschaft. Auf dem IPG-Portal der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung findet sich ein anregendes und ausführliches Gespräch mit dem britischen Wirtschaftswissenschaftler unter der Überschrift „Meuterei gegen die Eliten“. Das Gespräch sei hier kurz nachgezeichnet.

Collier stellt den Ländern des Westens diesen Befund aus: Es driften die reichen, gebildeten „Eliten in den Metropolen“ und die weniger gebildeten, weniger produktiven Bewohner der ländlichen Regionen immer weiter auseinander. Im Zuge dieser zentrifugalen Dynamik bilden die  großen Metropolen der Industrienationen eine Art Nobel-„Club“, in den man nur mit Geld und Erfolg hineinkommt. Hier ist man jenseits der jeweils eigenen Nation unter sich als Teil einer multinationalen Elite, die von sich glaubt, den eigenen Erfolg selbst „verdient“ zu haben. Was nicht stimme, sagt Collier, denn die Metropolitaner seien lediglich die Nutznießer der „Agglomerationsgewinne“ des modernen Kapitalismus.

Umgekehrt sehen sich die einfachen Leute in den kleinen Städten und auf dem Land immer mehr als Benachteiligte im großen Rad der Weltwirtschaft. Das frustriert, und zwar nicht allein wegen der geringeren wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern aus einem tieferen Grund. „Wir haben die Verpflichtung für das Gemeinwohl allein dem Staat aufgebürdet und Firmen und auch die Familie gänzlich von ihrer moralischen Verantwortung für das Gemeinwesen enthoben“, sagt Collier.

Mit anderen Worten, die von der Wirtschaft ausgesiebten und im Sozialstaat „geparkten“ Leute finden sich unnütz. Das widerspreche einem Grundbedürfnis des Menschen. „Wir sind aktive Wesen, wir brauchen das Gefühl, etwas zur Gesellschaft beizutragen, produktiv zu sein. Wir müssen anerkennen, dass der Einzelne durch seine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl erst Würde und Selbstachtung erlangt. Aber wir handeln nicht entsprechend“, erkennt Collier. Die Folge: Meuterei gegen die Eliten, die dieses System verkörpern und leiten. Gelbwesten, Brexit und so weiter.

Es fehlt eben der Kitt, der die Leute über das eigene Ich hinaus zusammenhält: Die Freude an einer konkreten Verantwortung, eine Überlebensmöglichkeit und die soziale Anerkennung, aber auch Kontrolle, im engsten geografischen Umkreis. Die Schlussfolgerungen von Sir Paul Collins sind klar und überraschend zugleich: Es braucht nicht noch mehr vom Social Engeneering des Versorgungsstaates wie die Grundsicherung oder das Bürgereinkommen. Das würde die Bürger nur noch tiefer in die Abhängigkeit dessen fallen lassen, was Collier den ‚sozialen Paternalismus‘ nennt.

Es braucht „eine gemeinsame Identität und ein Wir-Gefühl“ in einem bestimmten Gebiet. Nur so „können wechselseitige Verpflichtungen füreinander entstehen“. Tatsächlich, der Weltbürger Collier plädiert für Patriotismus! Strikt zu unterscheiden vom Nationalismus, der ab- und ausgrenze. Der Patriotismus umschließe alle Menschen, die in einem Land leben, versuche also, die Gesellschaft zu einem guten Ort für alle zu machen, so der Wissenschaftler: „Also müssen wir auf der lokalen Ebene anfangen, einen Patriotismus zu etablieren, und ihn schrittweise ausweiten“. Was auf europäischer Ebene bedeutet: „Das Gemeinwesen, also der Ort des politischen Handelns, bleibt daher der Nationalstaat. Nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie“. 

Auf der Ebene Tirols können wir Leser feststellen, dass unser Gebiet dank der Pflege althergebrachter Bräuche, Sitten und Einrichtungen ein noch recht lebendiges ist. Auch wir, die wir uns im politischen Sinn als Patrioten bezeichnen, möchten dazu beitragen, diesen Schatz zu wahren und ihn – wie Collier sagt – Schritt für Schritt ausweiten. Unser Land Tirol – so wie wir es auch für die Länder all unserer europäischen Freunde wünschen – sollen zu einem lebenswerten Ort für alle werden, die darin leben, arbeiten, Kinder aufziehen und ihr Selbstverständnis im tätigen Austausch mit der Gemeinschaft gewinnen. Wenn unser Europa eine Vision verdient, dann diese.

Gesunder Patriotismus ist das Heilmittel gegen den Globalisierungs-Verdruss – und das Heilmittel gegen Auswüchse, in die Meutereien aus Wut allzu leicht führen. Soweit das Grundsätzliche. Die Frage, die offen bleibt, ist, welche konkrete politische Gestalt ein Land haben oder erlangen muss, damit dieses Heilmittel seine wohltuende Wirkung aufs Beste entfalten kann. Auf diese Zukunftsfrage scheinen die Eliten in der Europäischen Union auch im Hinblick auf die Europawahlen im Mai 2019 keine richtige Antwort zu haben. Also wird sich das Neue von alleine Bahn brechen.

    

      

   

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