Florian Stumfall

19.11.2020

Menschenverachtend

Das Ulmer Münster zu Unserer Lieben Frau besitzt den höchsten Kirchturm der Welt und darüber hinaus eine Kirchengemeinde mit ebenso hohen moralischen Ansprüchen. Dies wurde offenbar, als genau 100 Jahre, nachdem die Figuren der Heiligen Drei Könige geschnitzt worden waren, sichtbar wurde, dass es sich bei der Figur des Melchior um ein schändliches Machwerk des Rassismus handelt. Man hätte das wahrlich schon eher bemerken können. Die angedeutete Körperschwere, die fülligen Lippen, ja, natürlich, die schwarze Haut und zu allem Überfluss die Federn auf seinem Kopfputz! Mit einem Wort: menschenverachtend.

Symbolbild Pixabay

Höchste Zeit also, dass die Kirchengemeinde den notwendigen Anstoß nahm und daraufhin den Beschluss fasste, zur kommenden Weihnachtszeit die drei Figuren aus der Kirche und dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu verbannen. Eine mutige Tat wider den Rassismus und ein Beispiel für andere!

Allerdings müssen sich die Hüter der Ulmer Kirchen-Moral vorwerfen lassen, dass sie nicht die Ersten sind, die hier wacker durchgreifen. Um im religiösen Umfeld zu bleiben: In den Niederlanden ist der „swarte Piet“, ein Begleiter des Heiligen Nikolaus, bereits verfemt, und hierzulande ist es nicht mehr politisch korrekt, im Fasching als Afrikaner zu gehen.

Caspar, Melchior und Balthasar

So weit, so gut. Allerdings bleiben, was die Drei Könige angeht, gewisse Zweifel. Ein wesentlicher Grund für Ärgernis und Empörung ist ja die Darstellung der schwarzen Haut des einen Königs. Jedoch sind die beiden anderen auch keine Europäer, sondern kommen „aus dem Morgenland“, Araber vielleicht oder Perser. Man muss befürchten, dass auch sie keine reinweiße Haut haben und hier beginnt das Problem. Ab welchem Grad der Pigmentierung beginnen Schändlichkeit und Menschenverachtung? Geht eine mallorquinische Sommerbräune noch durch, oder soll man doch politisch korrekte Sicherheit beim erhöhten Lichtschutzfaktor suchen?

Und ach! Mit dem Melchior ist es ja nicht getan! Unter den berühmten Moriskentänzern – allein schon der Name! – des Erasmus Grasser aus dem Jahr 1480 befindet sich einer, dem sein afrikanisches Herkommen unverkennbar anzusehen ist. Ein Skandal!

Und beim Münchner Stadtmuseum denkt man sich offensichtlich nichts dabei, das Schandwerk dem Publikum zugänglich zu machen. Mehr noch: Im Prado zu Madrid hängt ein Bild des Diego Velazquez, eine Anbetung der Könige, ebenfalls mit dem bewussten Melchior-Ärgernis! Albrecht Dürer hat sich nicht geschämt, eine „Mohrin Katherina“ zu zeichnen, anno 1521, Francisco Goya glaubt, bei seiner „Erschießung der Aufständischen“ nicht auf einen Schwarzen verzichten zu können, und auf ungezählten Deckengemälden werden die Allegorien der Erdteile als Menschen dargestellt, Afrika natürlich rücksichtslos als Afrikaner, so bei Tiepolo im Treppenaufgang der Würzburger Residenz.

Rassistische Kunst?

Und dann die anderen Künste: In Mozarts „Entführung“ lautet eine Textpassage „weil ein Schwarzer hässlich ist“. Da kann es nur heißen: Schikaneder an die Laterne! Und Mozart gleich mit dazu, weil er dieses auswürfige Wort geduldet, ja, mehr noch, vertont hat! Oder Othello, den sein Schöpfer Shakespeare den „Mohren von Venedig“ nennt! Die Perle der Adria sollte sich genieren, damit in Verbindung gebracht zu werden! Oder Schiller mit seinem Fiesco, der seinen Mohren sklavisch schlecht behandelt, unter dem Beifall des Publikums.

Wo man hinsieht: Der Rassismus hat System. Es wird endlich Zeit, Afrikaner so darzustellen, dass sie nicht als solche erkennbar sind. Vielleicht liegt hierin der tiefere Sinn der gegenstandslosen Malerei, der es leichtfallen müsste, diese Vorgabe des menschlichen Anstands zu erfüllen. Doch es ist noch kein Ende der quälenden Fragen. Wenn es unstatthaft ist, Afrikaner in ihrer wirklichen Erscheinungsform darzustellen, muss man dann daraus schließen, dass es einen Nachteil bedeute, schwarz zu sein? Liegt denn nicht, gleich der Schönheit, auch die Hässlichkeit im Auge des Betrachters? Offenbart derjenige, der Anstoß an der Darstellung eines Schwarzes nimmt, nicht ein tiefsitzendes Gefühl davon, dass hier etwas Minderwertiges gezeigt werde, wogegen man sich zu empören habe? Wer ein Ärgernis sucht, wird es finden, und das Problem ist deshalb nicht lösbar, weil es kein Problem ist, sondern absichtlich als solches aufgeplustert wird.

Man kann die Sache ja auch umdrehen. Wenn Europäer von den Chinesen „Langnasen“, von den Arabern „Giaur“, den Zigeunern „Gadsche“, den Westafrikanern „Tubaab“ genannt werden, so ist das keineswegs als Kompliment gedacht. Es gibt zudem noch genug Franzosen, für die ein Deutscher der „boche“ geblieben ist, und Engländer, die uns nach wie vor als „Hunnen“ bezeichnen. Was soll’s? Freundlichkeit unter den Menschen oder gar ein herzliches Empfinden kann man nicht befehlen; dass man aber kein Gegenüber beleidigen soll, ist eine Angelegenheit der guten Erziehung und nicht der Politik. Es sollte auch kein Gegenstand sein für beleidigte Dünnhäutigkeit in anderer Leute Namen.

Wahn von Gleichheit

Angesichts der Ungereimtheiten in dieser Rassen-Hysterie spricht es dafür, nach deren Grund zu suchen. Und sieh’: Er ist bald gefunden. Was sich nämlich beleidigt fühlt, ist der Wahn von der Gleichheit der Menschen, die Ideologie, welche die Einmaligkeit des Individuums bestreitet und in der Feststellung eines Unterschiedes zwischen zwei Menschen jedenfalls eine Herabsetzung eines der beiden sieht. Dabei sind die Menschen, rechtlich gesehen, nur in einem gleich, nämlich vor dem Gesetz, und, in Anbetracht ihrer Natur, in dem Recht, Besonderheit zu sein.

Ein weiteres Empfinden ergänzt den Gleichheits-Topos auf wirksame Weise. Für den Wahn nämlich wird der Anspruch erhöhter sittlicher Qualität erhoben. Wer ihm folgt, darf sich – im eigenen Verständnis – im Bewusstsein sonnen, zu einer moralisch erhabenen Gruppe zu gehören. Und weil hier von Dingen der Ethik die Rede ist, soll auch das Neue Testament zu Wort kommen: Diese selbsternannten Edelmenschen erinnern an den Pharisäer bei Lukas 18, 11, der da sagt: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ Und die Dummen spenden ihm Beifall und folgen ihm.

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