Redaktion UT24

09.10.2017

Gegner Kataloniens fürchten Blaupause für Südtirol

Ein ganzes Heer an Nationalsouveränisten, Monopolisten, Bankspekulanten, Meuchlern und Heuchlern, Populisten verschiedenster Couleur trat in Bewegung, um die Katalanen über die vier Äther schlecht zu reden. Der Freiheitswille und das Europa der Regionen ist nicht mehr aufzuhalten, will man nicht zurück in die finsteren Zeiten des 20. Jahrhundert.

Foto: © Südtiroler Schützenbund

Von Günther Rauch.

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“. Prophetisch erscheinen diese Worte des deutschen Schriftstellers Bertold Brecht, wenn man in diesen Tagen die Ereignisse in Katalanien mitverfolgt. Was hier passiert ist nur eines der Symptome dafür, dass Nationalstaaten verfallen und die Europäische Union vor dem Scheideweg steht. Es ist der Anfang vom Ende eines althergebrachten Nationalismus oder die Rückkehr in den Sumpf einer dunklen Zeit.

Vielleicht sollte man einmal erklären, dass es bei den Katalanen um mehr geht als um die Verteidigung der Wurzeln ihrer Identität. Es geht um die „Reconquista“, ihrer am 11. September 1714 durch Spanien niedergetrampelten Unabhängigkeit. Wenn jemand ein Fußballspiel des legendären „Barça“ angesehen hat, wird er mitbekommen haben, dass genau um 17.14 Uhr der Spielzeit alle Barcelonier sich erheben. Sie singen ihre alte Nationalhymne „Els Segadors“ (vom Aufstand der Schnitter) und am Ende skandieren sie den Ruf der Freiheit „IIibertat“. 1992 wurden die Olympischen Spiele in Barcelona unter dem Protest der spanischen Politschickeria mit dieser katalanischen Nationalhymne eröffnet. Auf diese Weise gaben sie ihrem Willen nach nationaler Selbstständigkeit zum Ausdruck. Dieser Widerstand gegen den spanischen Staatshegemonialismus geht auf die Zeit des mit Hilfe von Benito Mussolini und Adolf Hitler an die Macht gehievten General Francisco Franco zurück. Die Faschisten hatte die katalanische Autonomie aufgehoben. Sie wurde erst 1979 wieder eingeführt. Im Vergleich zu Südtirol, haben die Katalanen ihre eigenen Sicherheits- und Ordnungkräfte. 2006 wurde das katalanische Autonomiestatut in Richtung Vollautonomie verbessert.  Doch die Mitgliedspartei der Europäischen Volkspartei Partito Popular zog gegen dieses Minimalprogramm zum Schutz des Katalanischen Volkes vor das Verfassungsgericht, wo das Statut gestoppt wurde. Ein alte Weisheit wurde wahr: „Wer vom [nationalistischen und zentralistisch konzipierten] Staat ißt, stirbt daran.“ Wer sich mit ihm einlässt, läuft Gefahr mit ihm zugrunde zu gehen. Das musste den katalanischen Volksvertretern klar geworden sein, als die Zentralregierung jegliches konstruktives Gespräch mit ihnen abgebrochen hatte.

Spanien als Biedermann der Brandstiftung

Erst als das katalanische Parlament eine Volksabstimmung in die Wege leitete, wurde die primitive Masche vom „Haltet den Dieb“ in die Szene gesetzt.

Ein ganzes Heer an Nationalsouveränisten, Konzernhaien, Meuchlern und Heuchlern, Populisten verschiedenster Couleur trat in Bewegung, um die Katalanen über die vier Äther schlecht zu reden. Es sind die gleichen Kräfte die, wenn es um rein wirtschaftliche Interessen und billige Arbeitskräfte geht, zuschauen wie ganze Stämme von verzweifelten und hungernden Volksangehörigen ausgesiedelt und entwurzelt und explosiven Parallelgesellschaften zugeschoben werden. Es sind die gleichen Frömmler die zwar mit gutem Recht den Kosovo, die Abspaltungen in ehemaligen Balkan – und Ostblockländern rechtfertigen, dieses Recht aber den Bewohnern der Krim, den Kurden im Nordirak, den Südtirolern und Katalanen absprechen. Ihr wahres Gesicht haben sie jetzt in Katalonien gezeigt. Sie schauten zu wie die berüchtigte Guardia Civil frei gewählte Minister und Abgeordnete in Haft setzte und mit Gummigeschossen und Knüppelkommandos gegen friedliche Menschenmassen vorging.

Europa der Regionen braucht keine Nationalstaaten

Entgegen den Zentralisten und Großstaatsdenker hatten bereits die deutschen Dichter Goethe und Schiller die kulturelle Blüte und Diversität eines Europas der Regionen hervorgehoben.

Der als moralische Instanz des Europagedankens gefeierte Schriftsteller Robert Menasse sah sich gezwungen daran zu erinnern, dass die Katalanen in Grunde genommen die wahren Europäer sind. Denn „die Katalanen wollen das Konzept des Nationalstaates verlassen. Sie nehmen nur den Lissabon-Vertrag ernst, der von einem ‚Europa der Regionen‘ spricht. […]. Man braucht die nationale Ebene nicht.“

Altiero Spinelli, einer der Väter der Europäischen Union, vertrat ähnliche Ansichten. Einmal erklärte er mir, dass die Südtiroler ihre Existenz und Eigenart nur einer europäischen Perspektive, in einer selbstständigen europäischen Region Südtirol oder Tirol, als deutsch- und ladinischsprachiges Volk sichern und entwickeln können. Alles andere ist reiner Selbstbetrug und fataler Konservativismus.

Darum ist das Geschehen in Katalonien von größter Bedeutung. Denn vom Europa der Regionen wollen der spanische Regierungschef Mariano Rajoy und seine Schwadroneure nicht wissen. Es geht ihnen „um die Einheit der spanischen Nation“. Man nimmt Bezug auf die spanische Verfassung die von der „unauflöslichen Einheit der spanischen Nation“ und der „gemeinsamen und unteilbaren Heimat aller Spanier“ spricht.

Katalanen sind keine Spanier, wie Südtiroler keine Italiener  

Der Haken liegt nur darin, dass die Katalanen nicht das monarchische Spanien bevormunden, sondern nur über die Zukunft ihrer eigenen „republikanischen Nation“ frei entscheiden wollen. Denn, dass die Katalanen keine Spanier, sondern eine eigene Nation sind, daran gibt es keine Zweifel. Es wäre das gleiche, wenn man die Südtiroler als Italiener bezeichnen würde. Die Deutsch-Südtiroler sind italienische Staatsbürger, aber keine Italiener. Nationalität und Staatszugehörigkeit darf und kann nicht verwechselt werden.

Nichts war in den letzten Wochen unseren Freiheitsallergetikern zu perfid, nichts war ihnen zu dumm, um von oben herab die Katalanen zu beurteilen. Blind liefen sie den Lautsprechern in Madrid nach. Es sind die gleichen die früher zu den erklärten Autonomiegegnern zählten. Manch einer gibt sogar zu, dass er Unrecht hatte. Damals haben sie mit ihren „Rund- und Spitzköpfen“ („Teste tonde e teste a punta“) die schlimmsten Instinkte der schwarz-roten Meute geweckt. Denn die Wirkung einer solchen Politik, die in den Klassenzimmern die katholischen Kreuze verbieten, den zweisprachigen Mischmasch-Unterricht einführen und aus jedem Südtiroler einen „guten Italiener“ machen will, hat sich bei den Wahlen in Bozen und Meran gezeigt. Beinahe die Mehrheit der Italiener hat damals für eine deklariert faschistische Partei gewählt. Man hat lieber das Original gewählt. Dafür hat man einer Schule in Bozen nach dem Namen ihres Heilsbringers benannt. Wenn jemand wissen will, wer die Gurus dieser Quadratschädel waren, rate ich das Buch der Göttinger Historikerin Petra Terhoeven mit dem Titel „Deutscher Herbst in Europa“ (Oldenburg Verlag) über die „Lotta Continua“-Extremisten in Italien und Deutschland zu lesen. Was wundert, wenn deren anders gefärbten und kaschierten Erben jetzt auch noch die Südtiroler Bauern und Milchproduzenten bevormunden und belehren möchten. Dabei schrecken sie nicht davor zurück offen zuzugeben, ihre Ziele „nach Veränderung auch durch subversives Handeln zu erkämpfen“ (Zit. aus: „Grüne Jugend“).

Den Vorhaben der Katalanen steht man mit Skepsis gegenüber. Die Selbstbestimmung wird als unheilvolle Spaltung dämonisiert. Wenn der spanische Ministerpräsident sich auf einen umstrittenen Verfassungspassus beruft, so muss dies im Einklang mit der Verfassung erfolgen.

Les extrêmes se touchent“, „die Extremen berühren sich“, sagen die Franzosen.

Tajani: Italien hat die Polizei in den Alto Adige geschickt

Hinter der Zwiespältigkeit der Abspaltungsgegner steht in Südtirol eine ganz andere Spekulation: Katalonien könnte zur Blaupause für Südtirol werden.

Das bestätigte indirekt auch der Präsident des EU-Parlaments Antonio Tajani. Er gehört der Forza Italia an, jener Partei der Exponenten bis vor einigen Jahren „Mussolini als den Staatsmann des Jahrhunderts“ belobigten und die sich rühmen die Nichte des Duce in ihren Reihen zu haben. Forza Italia, wiederum gehört der Europäischen Volkspartei an, deren Mitglieder auch die CDU, CSU und SVP sind. Der Generalsekretär der EVP dürfte noch der Spanier Antonio Lopez-Isturiz sein, das sagt alles. Der genannte Antonio Tajani, den der wiedererwachte Silvio Berlusconi zum Kandidaten für die zukünftige Mitte-Rechts Regierung auserwählt hat, beeilte sich jeden Tag dem Chorgesang von Mariano Rajoy zu folgen. Vor lauter Argumentationsnot fiel dem Rechtsnationalisten nicht anderes ein, als im italienischen Fernsehen die Repression des Verfassungsbruches der Katalanen durch die Guardia civil zu verteidigen, denn: “auch wir [Italien] haben die Polizei in den Alto Adige  geschickt“. Na dann, gute Nacht! Damit stellt der EU-Präsident bewusst oder unbewusst Parallelen zwischen den Ereignissen in Katalonien und Südtirol her. Es scheint so als wollte er sich mit den Unterdrückungsmethoden der 60er Jahre überziehen.

„Auch wir haben die Polizei geschickt“, diesen Satz muss man sich ewig in Erinnerung behalten. „Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt“, das ist die Logik die sich wie ein Strick um den Nacken anhört. So gesehen, „wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ (B. Brecht). Wenn die Mehrheit eines Volks über eine Idee überzeugt ist, hat es ein gutes Recht sich dafür einzusetzen. Es geht schließlich um die menschliche Perspektive in Bezug auf die Identität der Menschen und wie sie diese verteidigen und entwickeln wollen. Wer die Demokratie wirklich ernst nimmt, kann nur einen Schluss ziehen: die Menschen immer frei entscheiden zu lassen.

In diesem Sinne sind wir Südtiroler alles Katalanen.

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  1. schalldaempfer
    26.03.2018

    amen!

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