Florian Stumfall

05.11.2020

Eskalation zum Kulturkampf

Die islamischen Terroranschläge in Frankreich haben einen offenen Zwist zwischen dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan hervorgerufen. Macron hatte sich im Zusammenhang mit Karikaturen des Propheten Mohammed für die Meinungsfreiheit ins Mittel gelegt und dies bei einer sehr prominenten Gelegenheit, nämlich der Trauerfeier für den von einem Moslem enthaupteten Lehrer Samuel Paty. Damit war die Kontroverse eröffnet.

(Bild: UT24/su)

Erdoğan rief sofort seine Landsleute zum Boykott französischer Waren auf: „Tut ihnen keine Ehre an, kauft keine Waren von französischen Herstellern.“ Und angesichts der Bluttat drehte er listig den Spieß um und rief die internationale Gemeinschaft auf, die „Muslime in Frankreich zu schützen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden“.

Spätestens hier war für jedermann erkennbar, dass es in dieser Sache mit vernünftiger Argumentation kein Weiterkommen gibt. Der Streit zwischen Paris und Ankara scheint mittlerweile zu einem Kulturkampf zwischen Europa und der islamischen Welt zu werden, dessen Protagonisten eben Frankreich und die Türkei sind. Dafür spricht, dass Erdoğan seine Frontlinie verbreitert, in Europa und darüber hinaus.

Organisierte Demonstrationen

Im Berliner Bezirk Neukölln, der besonders von Zuwanderern geprägt ist, kam es zu Protesten gegen Frankreich und seinen Präsidenten. In Wien stürmten 30 Mitglieder einer türkischen Jugend- Bande eine Kirche, randalierten dort und schrien: „Allahu akbar“. Proteste gab es im Nahen Osten, so in der jemenitischen Hafenstadt Aden. Tausende gingen in Äthiopien, Afghanistan, Bangladesch, Gaza, Israel und Pakistan auf die Straße, um sich gegen die „Ungläubigen“ zu empören.
Demonstrationen solchen Ausmaßes entstehen nicht spontan, sondern werden organisiert. Diesmal hat sich einer derjenigen Männer, die im Hintergrund die Leinen ziehen, auch öffentlich geäußert. Laut Mahathir Mohamad, dem ehemaligen Premier von Malaysia, haben die Moslems „das Recht, wegen der Massaker der Vergangenheit wütend zu sein und Millionen von Franzosen zu töten“. Dass sich etwa Erdoğan von einer solchen Aussage distanziert, ist nicht zu erwarten. Dabei waren vor nur einem schlanken Menschenalter die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sehr freundlich.

In Brüssel und den nachgeordneten Hauptstädten gibt und gab es auch damals starke Kräfte, die, in Unkenntnis dessen, was Europa als kulturelles Phänomen ausmacht, die Türkei als Bestandteil des Alten Kontinents betrachten. So glichen 1961 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Türkei ihre Zollsätze einander an. Zwei Jahre darauf unterzeichneten die Partner ein Assoziierungsabkommen. Und 1987 beantragte Ankara die Aufnahme des Landes in die EU. Und wenn auch die Beitrittsverhandlungen derzeit ruhen, so fließen doch weiterhin die Milliarden der „Heranführungszahlungen“.

Der Untergang des Kemalismus

Möglich wurde diese Entwicklung, weil während der 60er Jahre in der Türkei noch der Geist des Staatengründers Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, herrschte. Er hatte es unternommen, aus dem untergegangenen Osmanischen Reich einen modernen Staat westlichen Zuschnitts zu machen. Die Einführung der lateinischen Schrift anstelle der bisherigen arabischen im Jahre 1929 war ein symbolträchtiges äußeres Zeichen dafür. Die Türken nannten sie „Buchstabenrevolution“. Doch der Kemalismus, die Vorstellung einer säkularen, wenn auch weiterhin islamischen Türkei, die sich an westlichen Normen ausrichtet, hat ein Ende gefunden.

Die Europäer bewundern in der perspektivischen Verkürzung der historischen Rückschau an ihm die Kühnheit der Vision, nicht seine Lebenskraft. Tatsächlich ist der Untergang des Kemalismus nicht erstaunlich. Vielmehr muss verwundern, dass er 60 Jahre lang angehalten hat. In den 950 Jahren der türkischen Geschichte in Anatolien ist er eine Episode.
Wer bedenkt, dass die Türken zwar das westlichste, aber auch das größte der vielen Turkvölker sind, die Asien bis ins nordöstliche Sibirien und bis China besiedeln, der wird die Hinwendung Erdoğans nach Asien als den Ausdruck einer gewissen Normalität betrachten. Erdoğan ist die Regel – Kemal Pascha die Ausnahme, auch wenn es viele beflissene Groß-Europäer befremden mag.

Diese träumen gerne von einem „aufgeklärten Islam“, der nicht nur die Türkei, sondern die gesamte islamische Welt mit Europa versöhnen könnte. Doch die großen Denker aus den Reichen des Propheten, von Avicenna, Averroes über ibn Chaldun bis zum redlichen Bassam Tibi unserer Tage, die Ansätze eines aufgeklärten Denkens gezeigt haben, fanden Anerkennung nur in der abendländischen Welt, nicht im heimischen Islam. Zu dessen dogmatischen Grundsätzen gehört die Überzeugung, dass der Islam eine Ordnung darstellt, die alle Lebensbereiche umfasst, mithin auch die Politik und die sogar an erster Stelle.

Die Länder der EU ermöglichen radikalen Moslems goldene Zeiten

Eine Trennung von religiösen und profanen Belangen wäre also Häresie, wer ihr Vorschub leistet, machte sich des Glaubensabfalls schuldig. Allein dieser eine Unterschied zu abendländischen Gepflogenheiten macht die Vorstellung einer kulturellen und politischen Fusion des Abendlandes mit der Türkei schwer vorstellbar. Doch Macron scheint davon nichts zu wissen – er spricht guten Mutes von einem „Islam der Aufklärung“.

Zurück zu den Gräueltaten der vergangenen Wochen. Frankreich hat seine Sicherheitsvorsorge in allen diplomatischen Missionen verstärkt. Außenminister Jean-Yves Le Drian spricht von einer Lage, die „auch außerhalb Frankreichs bedrohlich“ sei. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Bundesaußenminister Heiko Maas kritisieren beherzt gewisse Parolen Erdoğans. Der EU-Ratspräsident Charles Michel spricht von „unannehmbaren Äußerungen“ der Türkei und dass man im Dezember wieder auf das Thema eingehen werde. Frankreichs Handelsminister Franck Riester fordert im Sinne der „europäischen Werte“ ein „Machtgleichgewicht mit der Türkei“. Und geschehen wird natürlich wieder einmal nichts.

Die Länder der EU sind nicht einmal imstande, die illegale Zuwanderung von Leuten, die dann hier Terror verbreiten, zu unterbinden und diejenigen, die hier bereits aktenkundig und teils vorbestraft sind, abzuschieben. Goldene Zeiten für radikale Moslems.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall

Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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