Kollmanns Blog

Cristian Kollmann

22.09.2021

Wieder eine vertane Chance: Landtag sagt Nein zu „Sudtirolo“

Mit großer Mehrheit hat der Südtiroler Landtag einen Beschlussantrag der Süd-Tiroler Freiheit abgelehnt, der die amtliche Anerkennung von „Sudtirolo“ vorgesehen hätte. War das Nein zu „Sudtirolo“ zu erwarten oder kommt es doch unerwartet und ist daher enttäuschend? Der Sprachwissenschaftler Cristian Kollmann, der den Beschlussantrag mit ausarbeitete, sucht nach Hintergründen und Antworten.

Ziel des Antrages: „Sudtirolo“ als offizielle Zusatzbezeichnung. (© STF)

„Sudtirolo“ wäre wichtiges Signal gewesen

Es wäre ein wichtiges kulturpolitisches Signal und ein Zusatzangebot an die Südtiroler, egal welcher Sprachgruppe, gewesen: Der Südtiroler Landtag führt „Sudtirolo“ als amtliche Landes(teil)bezeichnung ein – zusätzlich zu den bereits bestehenden deutschen, italienischen und ladinischen Bezeichnungen. Doch dem Landtag fehlte der Mut: Nein zur amtlichen Anerkennung von „Sudtirolo“ sagten nicht nur die Regierungsparteien Südtiroler Volkspartei und Lega Salvini Alto Adige-Südtirol, sondern auch die jeweils Ein-Mann-Abgeordneten der vier italienischen Oppositionsparteien sowie die drei Abgeordneten der interethnischen Verdi-Grünen-Vërc. Der Stimme enthalten haben sich die vier Abgeordneten des Team K und dessen rezentester Abtrünniger von der neu gegründeten Ein-Mann-Fraktion namens Perspektiven für Südtirol. Ebenso enthalten haben sich – und dies mag überraschen – die beiden Abgeordneten der Südtiroler Freiheitlichen. Neben den beiden Abgeordneten der einbringenden Partei Süd-Tiroler Freiheit war ein weiteres Ja einzig auf der Seite des Ex-Team-K-Abgeordneten von der nunmehrigen Fraktion Enzian zu verbuchen. Zwei Mandatare (alles anderes als „Hinterbänkler“) blieben der Abstimmung fern: Landeshauptmann Arno Kompatscher und Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. Das Ergebnis insgesamt lautete somit: 3 Ja-Stimmen, 23 Nein-Stimmen, 7 Enthaltungen, 2 abwesend.

Abstimmungsergebnis zur amtlichen Verwendung von „Sudtirolo“ (Screenshot vom Video der Sitzung des Südtiroler Landtages vom 16. September 2021).

Beschlussantrag aus aktuellem Anlass

Dem Beschlussantrag ging das Ergebnis einer Umfrage voraus, die im Juli 2021 im Auftrag des Südtiroler Heimatbundes italienweit, mit der Ausnahme von Süd- und Welschtirol, durchgeführt wurde. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mit dem amtlichen Gebrauch von „Sudtirolo“ – und dies sogar anstelle von „Alto Adige“ – einverstanden wären (UT24 berichtete). In dem hier zur Debatte stehenden Beschlussantrag ging die Forderung jedoch nicht so weit: Keineswegs ging es um den regelrechten Ersatz von „Alto Adige“ durch „Sudtirolo“, sondern lediglich um die amtliche Einführung von „Sudtirolo“ als Zusatzbezeichnung. Und zwar als Angebot an all jene, die sich mit der Landes(teil)bezeichnung „Sudtirolo“ und der Ableitung „sudtirolese“ besser identifizieren können als mit „Alto Adige“ und „altoatesino“. Tagtäglich werden wir unterschwellig daran erinnert: „Alto Adige“ und „altoatesino“ stellen die Tiroler Identität der Autonomen Provinz Bozen und der Mehrheitsbevölkerung bis heute aus italienischer Sicht in Abrede. Dennoch: Obwohl mit „Sudtirolo“ und „sudtirolese“ – um so mehr als Zusatzangebot – niemandem etwas genommen worden wäre, blieb der Vorstoß im Südtiroler Landtag erfolglos.

Das Ergebnis der vom Südtiroler Heimatbund in Auftrag gegebenen Umfrage zum amtlichen Gebrauch von „Sudtirolo“ (UT24 berichtete).

Bedenken der Abgeordneten gegen „Sudtirolo“

Man wolle, so die regierende Südtiroler Volkspartei, die Bezeichnung „Sudtirolo“ nicht von oben herab anordnen. Dass just der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher es war, der im Herbst 2019 den Begriff „Alto Adige“ im wahrsten Sinne von oben herab anordnete, schien bereits vergessen (UT24 berichtete). Ähnlich wie die Abgeordneten der Südtiroler Volkspartei begründeten auch die Abgeordneten der Verdi-Grünen-Vërc ihr Nein zu „Sudtirolo“ unter anderem damit, dass sie „keine hegemonischen Aktionen“ wünschten. Will heißen: Eine Sprachgruppe (die vorherrschende) dürfe der anderen Sprachgruppe nicht vorschreiben, welche Namen sie zu verwenden hätte. Daher müsse wenn schon die italienische Sprachgruppe gefragt werden, ob sie mit „Sudtirolo“ einverstanden wäre. Ketzerische Frage an die Grünen: Seid ihr wirklich sicher, dass euer Bemühen um die politische Durchsetzung einer gendergerechten Sprache nicht ebenfalls als „hegemonische Aktion“ einzustufen ist? Dürfen die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts den Vertretern des männlichen Geschlechts tatsächlich vorschreiben, welches Genus Letztere zu verwenden haben, ohne sie vorher zu fragen? Soll es nicht sogar auch Frauen geben, die sich mit der Genderpolitik nicht identifizieren können? Wie dem auch sei.

Eine der frühesten Nennungen von „Sud Tirolo“ findet sich im Jahr 1898 in der „Gazzetta Ufficiale del Regno d’Italia“, Seite 2421.

Argumente gegen „Sudtirolo“ nicht durchdacht

Wie die Grünen in dieselbe, nicht zu Ende gedachte argumentative Kerbe – von wegen Italiener fragen – schlugen auch Abgeordnete der italienischen Parteien sowie ein Abgeordneter der Südtiroler Freiheitlichen. Erneut muss man sich fragen: Die Verdi-Grünen-Vërc, die sich die interethnischen Interessen und den Ausgleich zwischen den Sprachgruppen immer wieder groß auf die Fahnen schreiben – sollten nicht gerade sie es als ihre Aufgabe erachten, auch in Sachen „Sudtirolo“ insbesondere die italienischen Mitbürger zu sensibilisieren und, wie seinerzeit Alexander Langer, sich darum bemühen, dass diese Bezeichnung sich immer mehr durchsetzt? Haben die Grünen in den letzten Jahren je etwas in diese Richtung unternommen? Überhaupt nichts! Im Gegenteil: Sie setzten auf interethnischen Smalltalk! Mehr denn je kommen sie mit „Alto Adige“ und „altoatesino“ daher und tun so, als seien diese unter dem Faschismus auferlegten Begriffe das Selbstverständlichste der Welt und Ausdruck des Respekts gegenüber der italienischen Sprachgruppe! So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass die Grünen mit der Namenstradition ihrer Gründerväter gebrochen haben. Spätestens mit der Satzung von 2014 nennt sich die Partei auf Italienisch nämlich nicht mehr „Verdi del Sudtirolo“, sondern „Verdi del Sudtirolo/Alto Adige“. Ob man mit dem Zusatz von „Alto Adige“ eine bestimmte Richtung vorgeben will? Wird, in einem nächsten Schritt, „Sudtirolo“ im Parteinamen ganz verschwinden? Dies wäre jedenfalls folgerichtig zum Nein der Grünen zu „Sudtirolo“ als amtliche Landes(teil)bezeichnung.

Die Satzung der Südtiroler Grünen, zuletzt modifiziert 2014. „Alto Adige“ findet sich nunmehr auch im italienischen Parteinamen, während es ursprünglich ausschließlich „Sudtirolo“ hieß.

„Alto Adige“, ein Fake-Name

Seien wir ehrlich: Eine konstruierte und ideologisch aufgeladene Etikette, zu Neudeutsch ein Fake-Name wie „Alto Adige“, verdient keinen Respekt! Wenn schon, sind es die authentischen Namen, die es zu respektieren gilt! Unverständlich ist auch das Abstimmungsverhalten der Südtiroler Freiheitlichen: Offenbar sind auch ihnen heimatbezogene Themen mittlerweile unangenehm geworden. Nur so ist es zu erklären, dass die Südtiroler Freiheitlichen 2019 gegen die Rückholung von „Alto Adige“ ins Europagesetz nicht opponierten, 2021 die Begnadigung der Südtiroler Freiheitskämpfer nicht unterstützten und, im konkreten Fall 2021, ebenso wenig die amtliche Einführung von „Sudtirolo“.

Bereits auf der Großkundgebung auf Schloss Sigmundskron 1957 hieß es: Südtirol, nicht Alto Adige. Patrioten und kulturbewusste Menschen halten an dieser Aussage fest.

Es geht um unser Kulturgut, nicht „nur“ um die Italiener!

Leicht widerlegt werden kann das nicht nur von den italienischen Parteien, den Grünen und mittlerweile auch von den Freiheitlichen immer wieder gerne vorgebrachte Argument, dass die Frage des amtlichen Gebrauchs von „Sudtirolo“ mehr oder minder ausschließlich eine Sache der Italiener sei. Die Südtiroler Toponomastik betrifft, unabhängig davon, in welcher Sprache sie sich uns zeigt, die gesamte Bevölkerung! Sie ist also weder ein ethnisches noch ein interethnisches Problem, sondern wenn schon ein überethnisches. Es ist eine Tatsache, dass Teile der Südtiroler Bevölkerung sich mit der aufgesetzten und ideologisch aufgeladenen Orts- und Flurnamengebung nicht identifizieren können und wollen. Wo bleibt also der Respekt vor jenen Südtirolern, die den Tiroler Landesteil, in dem sie beheimatet sind, eben nicht als „Alto Adige“ und sich selbst eben nicht als „altoatesini“ bezeichnet haben wollen? Wo bleibt das Bewusstsein, dass unsere Orts- und Flurnamen ein einzigartiges Kulturgut darstellen, an dem nicht herummanipuliert werden sollte? Bis zum Südtiroler Landtag ist dieses Bewusstsein immer noch nicht mehrheitlich durchgedrungen. Dies haben Debatten rund um das Thema Toponomastik in den letzten Jahren und Jahrzehnten und entsprechende Abstimmungsergebnisse immer wieder deutlich gemacht.

„Benvenuti Sudtirolo“: Südtirolweite Aktion der Süd-Tiroler Freiheit auf den Willkommenstafeln im Jahr 2008. (Bild: STF)

Bloß nicht anecken!

Anträge mit patriotischem Inhalt werden im Südtiroler Landtag regelmäßig und aus parteipolitischen Überlegungen heraus geradezu reflexartig niedergestimmt. Als Lieblingsgrund wurde und wird dabei immer wieder ins Feld geführt, dass für patriotische Themen wie die Rückkehr zur authentischen Toponomastik ein gesellschaftlicher Konsens bestehen müsste. An Heuchelei ist diese Argumentation nicht zu überbieten: Jene Parteien, neuerdings auch die Südtiroler Freiheitlichen, die zu einer gesellschaftlichen Diskussion, sozusagen als Voraussetzung für die Zustimmung zu einem heimatbezogenen Beschlussantrag anmahnen, sind gleichzeitig jene, die überhaupt nichts zu einer gesellschaftlichen Diskussion beigetragen haben und, im Gegenteil, auch in dieser Hinsicht noch bremsen! Unwissenheit, Desinteresse, ideologische Befangenheit und mangelnder Mut: Diese Eigenschaften sind offenbar die Voraussetzung dafür, um im Südtiroler Landtag und in Rom bloß nicht anzuecken. Eigentlich ist dies nichts Neues und daher zu erwarten. Dennoch bestand zumindest ein kleines Hoffnungspotenzial, dass es vielleicht diesmal anders kommen könnte. Also enttäuscht? Ja, auch. Auf jeden Fall scheint der richtige Zeitpunkt für „Sudtirolo“ immer noch nicht gekommen zu sein.

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  1. Pierpauls
    25.09.2021

    Die SVP Verwalter gehen schändlich mit unserer Toponomastik um ganz im Sinme von Tolomei und erfinden noch neue Namem dazu. sehr schlimm für uns Südtiroler wenn wir solche Volksvertreter haben.

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