Ein Blog von

Georg Dekas

27.07.2018

Der doppelte Pass und das friedliche Haus Europa

Der österreichische Pass für Südtiroler ein gefährlicher Brandsatz im Haus Europa? Die Gründe für diese Behauptung sind widerlegbare Floskeln aus dem Schulunterricht.

Gloriette, Schönbrunn Foto: Wolfgang Dirscherl/pixelio.de

Der Verfasser, der in der hiesigen Zeitungslandschaft ein bisschen die Stimme des Bischofs, schreibt im Leitkommentar des Tagblattes “Dolomiten” (27.07.2018) als erstes:

„Auf den ersten Blick haben die Aufreger dieser Woche – Mesut Özil und doppelte Staatsbürgerschaft – wenig gemeinsam.“

Lieber Martin Lercher, auf den zweiten Blick sogar noch weniger!

„Aber man muss gar nicht tief bohren, um den bereits entzündeten Nerv unter beiden Themen zu finden: Das ist dieser neue Nationalismus!“

Und das wäre?

„Plötzlich werden Einzelstaaten wieder so ungeheuer wichtig.“

Das waren sie schon immer, nur jetzt müssen sie sich einzeln wehren, weil der Staatenbund EU versagt.

Was dürfen wir nun unter „neuem” Nationalismus verstehen?

„… Staaten, die sich plötzlich als der bessere Flecken der Welt sehen und sich abgrenzen, die gegen andere Länder hetzen und sich irgendwann das Recht nehmen, über andere herzufallen und sich dort auch noch ein Stück zu holen.

Aha, etwa so wie die USA? Krieg gegen Mexiko 1846-48, über Kuba, Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen bis… (die schmutzigen Kriege z.B. in Lateinamerika gar nicht mitgerechnet) Oder so wie Großbritannien? Indien, Afrika, letzter Krieg 1982, Falklandinseln. Es gibt halt einen Unterschied zwischen Großmachtpolitik (Imperialismus) und der Selbstbehauptung von Völkern (Nationalismus).

Aber…

„…der feurige Nationalismus war eine der Hauptursachen für den Ersten Weltkrieg.“

Das ist eine Schulbuchweisheit, die auch durch noch so viele gedruckte Auflagen nicht wahrer wird. Der Nationalismus hat seine Wurzeln schon im Reformationszeitalter. Als innovative, gewinnbringende und breite Schichten überzeugende Organisation des Staates hat er seinen Siegeszug im 19. Jahrhundert vollendet – nach manchen Kriegen, aber ganz ohne Weltkrieg.

Den letzten Vielvölkerstaat unter aristokratischer Führung in Europa, ja, den hat der Nationalismus auch noch sprengen können, aber erst, als das Elend schon angerichtet war. Die reformunwilligen kaiserlichen Eliten in Wien und ein von Großmachtträumen besessener Staatsführer in Berlin haben den Ersten Weltkrieg ausgelöst und verloren, weil sie ihn nach veralteter aristokratischer Art geführt haben. Sie haben das Volk nicht als eigentätiges Kraftwerk genutzt, sondern als Kanonenfutter. Die haben das große Elend ganz von allein besorgt – und zu verantworten.

Als Gegenprobe ein kleines Was-Wäre-Wenn: Hätte das Haus Habsburg nach dem erfolgreichen Ungarn-Ausgleich 1867 das Reich weiter in Richtung nationale und bürgerliche Autonomie der Kronländer reformiert (Rudolf!), dann bestünde es wahrscheinlich noch heute, und zwar in der Rolle, für die zwei Katastrophen später die Europäische Union geschaffen werden musste.

Für unseren Kommentator sind nicht Eliten verantwortlich für die kommende dritte Katastrophe, sondern dubiose Aufwiegler:

„100 Jahre später mixen verantwortungslose Populisten, machtgierige Politiker und hetzerische Medien wieder genau diesen Sprengstoff…“

(Beschimpfung geschenkt, weiter)

…im friedlichen Haus Europa!

Im friedlichen Haus Europa? Starten wir ab Weltkrieg II:

1953 blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Berlin

1956 blutige Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn

1956 bis 1989 Flüchtlingstote am Eisernen Vorhang

1968 blutige Niederschlagung des Prager Volksaufstandes

1958 bis 2011 Rassenunruhen in England

1968 bis 1998 Blutiger Bürgerkrieg in Nordirland

1961 bis 1983 Attentate in Südtirol

1969 bis 1980 blutiger Terror (BR, ON) in Italien und in Deutschland (RAF)

1992 blutige Auflösung eines kommunistischen Vielvölkerstaates auf dem Balkan mit Völkermord

1988 (Lockerbie) bis heute (Bataclan, Paris) blutige arabisch/muslimische Anschläge in Europa.

Zum Abschluss noch ein paar Takte:

  • Sprengsätze hatte und hat das „friedliche“ Europa in Fülle, ein Doppelpass wurde darunter nicht gefunden.
  • Allein des Friedens willen zu allem stillhalten, was über einen hereinbricht, war noch nie eine friedenstiftende Lösung.
  • Wer sich offen den brennenden Fragen seiner Zeit stellt, hat oft unbequeme Antworten.
  • Nicht alles bleibt sich immer gleich.
  • Europas Eliten und ihre Wortträger heute erinnern an die vornehmen Obrigkeiten vor 1914. Damals hat man aus Bequemlichkeit und aus Angst, die eigenen Pfründe zu verlieren, die Augen zugemacht, die Zeichen an der Wand missachtet, sich die eigene, kleine, heile Welt geschaffen.
  • Zu meinen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, ist und bleibt der gefährlichste Sprengsatz von allen!

Friedliche Grüße.

 

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