Ein Blog von

Georg Dekas

26.10.2020

Das Meraner Zwischenspiel

Seit Wochen hört man unschöne Wortgefechte aus Meran. Es geht um die Neuverteilung der Sessel im Stadtrat nach den Gemeindewahlen im September und der Bürgermeister-Stichwahl am 4. Oktober 2020. Wie der hin und her wogende Streit zeigt, ist die allgemeine Verwirrung so groß wie die Zukunft ungewiß. 

APA (AFP/Archiv)

Politik, auch die der Verwaltung einer Stadt, kann und darf nicht auf unentwirrbare Zahlenspiele rund um Köpfe und Sessel eingedickt werden. Das große Geschehen im Gelände sollte nie außer Sicht geraten. In der Kurstadt Meran geht es im November 2020 um Eingemachtes entlang einer ideologischen Front und einer zweiten, kulturpolitischen Front. 

Die ideologische Frontlinie verkörpert am deutlichsten die gewesene Stadträtin für Verkehr und Raumordnung M. Rohrer im schwarzgrünen Team des gewesenen und mit nur 37 Stimmen Unterschied zum Herausforderer wiederbestätigten Bürgermeister P. Rösch. Die 2015 von außen Berufene Rohrer hat in den fünf Jahren ihres Wirkens richtungsweisende Erfolge für die Abschaffung der individuellen, motorisierten Mobilität erzielt. Diese Erfolge sorgten im eigenen Lager für Jubel und einen Rekordwert an Vorzugsstimmen im Wahlgang 2020 (mit Prominentenbonus). Doch die Erfolge reichen weiter. Weil Rohrers „nachhaltige“ Verhinderungspolitik à la Tempo 30 auf einer Meraner Ausfallsstraße für tonnenweise schwarze Galle im Lager der Automobilisten sorgte, kam es zu einem ungeahnten Zusammenrücken dieser „Automobilistenpartei“ quer über die Sprachgrenzen hinweg (die SVP hat’s dabei zerrissen). Die faktische Patt-Situation aus der Stichwahl vom 3. Oktober ist das Ergebnis. Oder sagen wir es so: Die 37 Stimmen Unterschied zur „Automobilistenpartei“ verdankt Kandidat P. Rösch der Tatsache, dass er deutsch ist und obendrauf eine leutselige, gewinnende Art hat. 

Neben dieser ideologischen Front gibt es die altbekannte „ethnische“ Front, die über die Jahrzehnte hinweg zu einer kulturpolitischen geworden ist. Was Deutsche und Italiener heute in Meran trennt, das ist nicht mehr die reine Sprache und das sind nicht mehr die fehlenden Freundes- und Familienbande. Die Stadt ist diesbezüglich als gemischt zu bezeichnen. Was Deutsche und Italiener über die Sprache hinaus nach wie vor unterscheidet und zuweilen auch trennt, das sind die kulturellen und die politischen Prägungen. So ist es zum Beispiel fast schon ein Gemeinplatz, dass Deutsche vorausblickend sparsam und entsprechend kleinkariert sind, die Italiener hingegen die große Geste und den Genuss des Augenblicks lieben. Das Verhältnis zum Auto fotografiert das: Polo gegen Alfa. Das Grün-Bewußtsein ist auf bürgerlichem Biedersinn aufgebaut und spiegelt folglich die deutsche Seele, nicht die italienische. In Italien sind die Grünen wenige Exoten, in deutschen Ländern sind sie staatstragend. In dieser Perspektive verkörpern Rösch/Rohrer auf der einen Seite und auf der anderen der Herausforderer auf den Bürgermeister-Thron an der Passer, der italienische „Avvocato“ D. Dal Medico und seine Bündnisfreunde, ziemlich genau diese zweite, kulturpolitische Frontlinie. Wobei zu sagen ist, dass bei den Italienern Merans zum „Automobilisten“-Moment ein gerüttelt Maß an Nationalismus dazu kommt – ein ziemlich kruder Nationalstolz nebenbei, der auf deutscher Seite gründlichst verpönt ist. Die Italiener wollten diesmal unbedingt ihren „sindaco italiano“. Das Ergebnis: 49,9% zu 50,1%. 

Jetzt zum Eingemachten. Um den politischen Furor Merans in diesem Zwischenspiel zur Regierungsbildung besser verstehen zu können, muss man wissen, dass in den kommenden Jahren die großen faschistischen Raubgüter aus den 1920er Jahren und ergo das italienische Erbe der Stadt (italienische Lesart) zur Disposition stehen. Neben dem Giga-Gelände des Mussolini-Hippodroms in Untermais sind es die danebenliegenden, aufgelassenen Kasernen des Heeres, die den Machern der Passerstadt Appetit und Tempo machen. Wer bei der vorgesehenen Umgestaltung dort Flächen, Anteile und Aufträge bekommt, der ist im Spiel – die anderen sind draußen. Da geht es um Seilschaften. Die alte vom SVP-Unterberger scheint nicht mehr so richtig zu ziehen, sonst wäre die SVP nicht in dem Dilemma, in dem sie ist. (Auch wenn Unterbergers Tochter Julia die einzige Lichtgestalt in der gegenwärtigen Debatte ist.) Offensichtlich haben sich in den vergangenen Jahren schwarzgrüne und neoitalische Seilschaften gebildet, die ihre soeben in Aussicht genommenen Claims nicht kampflos mit den alten Mächten teilen wollen. Vor diesem Hintergrund wirkt der vielstimmige Wortstreit um M. Rohrer, die Ansprüche der Politiker weiblichen Geschlechts und die Vision eines „nachhaltig“ eingebremsten, „grünen“ Merans lediglich wie ein Vordergrundrauschen, das von den harten Fakten ablenkt – aber gut genug ist, die sentimentalen Seelen der Stadt zu beschäftigen. 

Wie wiederholen die Italiener immerzu: ‚Wir haben eine andere Vision und andere Ideen zur Stadt als Rösch und Rohrer‘. Wenn also P. Rösch mit seiner „Königin“ Schach bietet (die zwar die meistgewählte innerhalb der Rösch-Liste, aber deswegen noch lange nicht der Liebling der ganzen Stadt ist) und Rösch damit den übergroßen Block von SVP und italienischen Listen auflaufen lässt, dann erklärt er Krieg: Krieg der „Automobilisten-Partei“, Krieg den Italienern (weitgehend deckungsgleich), Krieg der Wirtschaft. Da bügelt alles Zebrastreifen und Schuhputzen nichts weg. Der „Sieg“ der 37 Stimmen aus Obermais könnte den Namen des altrömischen Feldherrn Pyrrhus bekommen, der sich tierisch über den Sieg in einer Schlacht gefreut hatte, der aber den Krieg insgesamt verlor. Und am Ende in die Röhre guckte.  

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