Ein Blog von

Georg Dekas

27.03.2018

Carles Puigdemont

Freiheit von Unterdrückung zu unterscheiden ist leicht im Nachhinein, aber viel schwieriger während die Dinge geschehen.

APA (AFP)

So geben sich die meisten Europäer heute als überzeugte Demokraten und fällen über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein klares Urteil. Damals, in Russland 1917, in Italien 1921 oder in Deutschland 1933 war eine überwältigende Mehrheit der Menschen dafür, ihren Führern und einer Partei allein alle Macht zu überlassen. Im Namen des „Guten“ begann man zuerst Andersdenkende und dann „Andere“ schlechthin zu unterdrücken – bis hin zur kollektiven Ausrottung ohne Ansehen der Person.

Waren die Menschen damals dümmer oder blinder als heute? Nein. Sie haben nur nicht rechtzeitig zu unterscheiden gewusst, welche politische Anschauung und welche tagesaktuelle politische Handlung den Keim der Unterdrückung und Gewalt in sich tragen.

Welches ist der Kompass oder der Stern, der uns anzeigt, ob eine Karawane ins Unheil zieht? Es ist das Individuum, der einzelne Mensch: So wie die Macht, wie der Staat sich zum Einzelnen verhält, welche Rechte und Pflichten er ihm auferlegt, welche Freiheiten er ihm lässt oder verweigert, daran erkennt man, was später folgt.

Vor wenigen Tagen ist im „demokratischen“ und „bürgerlichen“ Deutschland Carles Puigdemont verhaftet worden: Ohne Haftprüfung, das „habeas corpus“, eines der fundamentalsten Prinzipien des Rechtstaates zum Schutz des Einzelnen vor tyrannischer Willkür. Der Mann wird vom spanischen Staat des gewaltsamen Aufruhrs beschuldigt und ist angeklagt, ein Attentat auf die „territoriale Einheit des Staates“ verübt zu haben. Nur fehlt der Anklage die Rechtsgrundlage, denn Madrid hat die Volksabstimmung der Katalanen als rechtlich nicht existent erklärt. Eine Anklage, die auf einem nicht existenten Vergehen fußt, hat in einem Rechtsstaat nichts verloren.

Berlin hat gleich nach der Festnahme des abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten kundgetan, es stehe auf der Seite Madrids und sehe Spanien als Rechtsstaat. Dabei ist das was vor sich geht, das Gegenteil von Rechtsstaat. Hier siegt politische Willfährigkeit über grundlegende und positiv geltende Freiheitsrechte des einzelnen Menschen.

Auch im übergeordneten moralischen Recht nimmt sich Madrids Unterdrückung der Freiheitsbestrebungen von Bürgern des eigenen Staates nicht besonders gut aus. Kein Mensch würde heute die Sklaverei oder die Apartheid für legitim erklären, und doch waren beide zur Zeit ihrer Geltung vollkommen legal. Sie waren Gesetz und das sogar in Staaten mit demokratischer Verfassung.

Der Legalismus, auf den die deutsche Bundesregierung und nicht wenige Südtiroler Kommentatoren pochen, steht auf tönernen Füßen – oder besser gesagt auf Füßen, die einst in Stiefeln steckten. Stiefel, die im Stechschritt die Freiheit in Europa auslöschten. Es wäre zu dumm, wenn wir die neuen Stiefel nicht hören würden, die Schritt für Schritt die wiedergewonnene und durchaus ausbaufähige Freiheit niedertreten.

 

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