Ein Blog von

Georg Dekas

01.12.2019

“Alto Adige”: Es bleibt das kulturelle Problem

Der lombardische Journalist Robi Ronza (u.a. Gründer des Rimini-Meetings) hat (am 17. Oktober 2019) im „Corriere del Ticino“ einen für unser Land höchst bemerkenswerten Beitrag veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Corriere del Ticino und des Autors empfehlen wir seine Gedanken unseren Lesern in der nachstehenden, vollständigen und wortgetreuen Übersetzung (meine Hervorhebungen).

Alles Trikolore in der Schüssel oder was? Foto Pixabay

Um eine klare Vorstellung davon zu erhalten, wie weit Italien und die italienische Schweiz als Teil der schweizerischen Eidgenossenschaft in der politischen Denkweise voneinander entfernt sind (obwohl beide sprachlich und kulturell gleich sind) gibt es da etwas, das genauer angeschaut zu werden verdient. Es geht um eine Meldung, die in Italien mächtig Staub aufgewirbelt hat, weil in einem Gesetzentwurf der Autonomen Provinz Bolzano/Bozen das Adjektiv „altoatesino“ und der Ausdruck „Alto Adige“ gestrichen und durch die Begriffe „della Provincia di Bolzano“ und durch „Provincia di Bolzano“ ersetzt worden waren. 

Die Autonome Provinz Bozen, deren Bewohner zu fast 70 Prozent deutscher Muttersprache sind, umfasst die deutschsprachigen Gebiete Tirols auf der Südseite der Alpen, die zusammen mit den  italienischsprachigen (das heutige Trentino) von Italien nach dem Ersten Weltkrieg infolge der Niederlage und Auflösung des Habsburgerreiches annektiert worden waren.  

Die Annexion wurde von Italien mit dem Prinzip der „natürlichen Grenze“ begründet, also der Wasserscheide und der Mittelachse der größeren Flussläufe. Sie zu ganz zu besitzen sahen die großen, in den Ebenen entstandenen Staaten als ihr Recht an, gleich, was die betroffenen Bevölkerungen davon hielten.     

Wasserscheide als Prinzip der Grenzziehung war im Frankreich des 18. Jahrhunderts entstanden, im Zuge der Kriege gegen Spanien, als es darum ging, wer die Kontrolle über die Pyrenäen haben sollte. Überall dort, wo das Prinzip der Wasserscheide angewandt wurde, hat es zwischen großen Bergketten und großen Flussebenen zur vorsätzlichen Zerschlagung von politischen Gemeinwesen geführt, die dort, im Unterschied zur künstlichen Grenzziehung, ganz natürlich entstanden waren. Nur die Schweiz schaffte es, diesem Schicksal zu entgehen. Anderswo, von Tirol bis zum Baskenland und Katalonien, von Flandern bis Kurdistan und anderen Ländern, hat die Anwendung des Prinzips der Wasserscheide Brüche hinterlassen und einen Rattenschwanz von Unbehagen, Spannungen und Reibereien nach sich gezogen.

In dem von Italien annektierten deutschen Tirol (damals waren 89 Prozent der Einwohner deutscher Zunge) unternahm der zur Herrschaft gelangte Faschismus mit harter Hand eine Zwangs-Italianisierung. Ohne ins Detail zu gehen, was in der Folge geschah, erinnern wir daran, dass von 1962 bis 1969 unter Garantie der Vereinten Nationen zwischen Italien und Österreich als rechtliche Schutzmacht der Südtiroler ein Abkommen ausgehandelt wurde, das so genannte „Autonomiepaket“, das heute noch gilt.

Auf dem Papier hat das „Paket“ viele Probleme gelöst, aber es gelang ihm nicht, eine bei Italienern häufig gefühlte Unmöglichkeit  zu beseitigen (ein Gefühl, das die Frucht einer Jahrzehnte währenden nationalistischen Indoktrination ist – etwas, das im Keller liegt, aber nie wirklich entsorgt wurde). Die Unmöglichkeit besteht darin, es als normal zu empfinden und zu akzeptieren, dass in Teilen des Staates andere Kulturen zuhause sind und andere Sprachen gesprochen werden als das Italienische.   

So tief verwurzelt ist die Überzeugung, dass das Volk die Sprache des Staates sprechen müsse und nicht der Staat die Sprache des Volkes, dass es von Italien als großzügiges Entgegenkommen empfunden wird, wenn in einem Territorium, in dem 70 Prozent der Einwohner deutscher Sprache sind, das Deutsche zwar offiziell ist, aber nicht einmal im gleichen Rang mit der italienischen Amtssprache steht. Nur sehr wenige Köpfe in Italien verstehen, dass es kraft Logik und demokratischem Grundverständnis andersherum sein müsste.

Ein weiteres Zeichen des genannten Vorurteils ist jenes der Ortsnamen. Die Republik Italien, geboren 1948, bekräftigte  tatsächlich die Gültigkeit jener rund 30.000 italienischen Orts- und Flurnamen auf Südtiroler Boden, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit großem Fleiß von den Nationalisten erfunden und dann vom Faschismus dem Land aufgezwungen worden waren (während jene im Aostatal abgeschafft und mit den ursprünglichen französischen Ortsnamen ersetzt wurden). Unter diesen Namen ist auch der Name „Alto Adige“, mit dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des napoleonischen Königreiches Italien, ein Departement bezeichnet wurde, das in Teilen der heutigen Provinz Bozen entsprach. Mit dem Anspruch, eine angeblich uralte Italianität dieses Landes zu behaupten, zog man also  einen Namen hervor, der  zur französischen Herrschaft Italiens gehört.  So lieb und teuer ist dieser Name der italienischen Minderheit in der Provinz Bozen – die am typischen Unbehagen von „Kolonialherren“ leidet, die Opfer einer gescheiterten Kolonisation geworden sind – eine Minderheit, die heute ganz objektiv benachteiligt ist – dass auf die Nachricht hin, dass dieser Name in einem Gesetzentwurf verschwinden sollte, jener allgemeine Schulterschluss die Folge war.            

Arno Kompatscher, Präsident der Provinz Bozen und eine Führungsspitze der Südtiroler Volkspartei, schüttete Wasser aufs Feuer, indem er ankündigte, dass die zuvor gelöschten Begriffe wieder in den Gesetzentwurf eingefügt würden. Das politische Problem ist damit gelöst. Was bleibt, ist das kulturelle Problem.

(c) Robi Ronza/Corriere del Ticino, 2019. Hier der Link: Alto Adige / SűdTirol, ovvero dell’impossibilità psicologica di ritenere normale che in Italia ci siano territori di cultura e di lingua non italiana 

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