von gk 09.12.2025 16:20 Uhr

Korruptionsvorwürfe: Ukraine soll Aufsicht ausgebremst haben

Eine umfangreiche Recherche der „New York Times“ stellt der ukrainischen Regierung ein alarmierendes Zeugnis aus: Kontrollmechanismen, die EU und USA zur Bedingung für Milliardenhilfen machten, sollen systematisch geschwächt worden sein. Betroffen sind Energie- und Atomsektor sowie die Rüstungsbeschaffung. Europäische Institutionen wussten laut Medienberichten über zentrale Missstände und überwiesen dennoch weiter Milliarden.

APA/dpa

Während Europa und die USA die Ukraine weiterhin finanziell stützen, zeichnen neue Medienberichte ein problematisches Bild hinter den Kulissen. Laut einer ausführlichen Recherche der New York Times soll die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj in mehreren staatlichen Schlüsselbereichen jene Kontrollmechanismen ausgehebelt haben, die ursprünglich auf Druck westlicher Partner eingeführt wurden. Dazu zählen unabhängige Aufsichtsräte in Energie- und Atomkonzernen sowie bei der staatlichen Rüstungsbeschaffung.

Die US-Zeitung beschreibt Fälle politischer Einflussnahme, unbesetzter Kontrollgremien, verzögerter Verträge und geänderter Satzungen – mit potenziellen finanziellen Schäden in Millionenhöhe. In mehreren Beispielen geht es um strategisch sensible Bereiche: das Stromnetz, den Atomsektor und die Versorgung der Front mit Munition. Ein wiederkehrender Vorwurf der Medienrecherche: Politische Eingriffe hätten die Arbeit von Aufsichtsräten blockiert oder neutralisiert und damit Missbrauch begünstigt.

Laut New York Times waren europäischen Institutionen verschiedene Probleme durchaus bekannt. Dennoch seien Hilfen weiter geflossen, nicht zuletzt aus geopolitischen Erwägungen.

Wie Kontrollmechanismen ausgehebelt wurden

Nach 2014 hatten die internationalen Geldgeber die Ukraine verpflichtet, unabhängige Aufsichtsräte in großen staatlichen Unternehmen einzuführen. Diese Gremien sollten Korruption verhindern, Managerentscheidungen prüfen und Milliardeninvestitionen absichern.

Die NYT zeichnet jedoch ein Muster politischer Einflussnahmen nach. In mehreren Unternehmen blieben Sitze laut Medienberichten unbesetzt oder wurden mit Personen besetzt, die von ausländischen Expertengruppen zuvor nicht empfohlen worden waren. Darüber hinaus kam es immer wieder zu Verzögerungen bei der Einrichtung oder Verlängerung von Verträgen für Kontrollgremien.

Ukrenergo – Entlassung nach politischem Druck

Besondere Aufmerksamkeit erregt der Fall des Stromnetzbetreibers Ukrenergo. Dessen damaliger Leiter Wolodymyr Kudryzkyj schildert gegenüber der NYT, dass er politischem Druck des Energieministers ausgesetzt gewesen sei. Als der Aufsichtsrat später neu besetzt wurde, soll das Ministerium maßgeblich Einfluss genommen haben. Nach mehreren Personalentscheidungen kam es zu einem Patt und schließlich zur Absetzung des Managers. Zwei internationale Aufsichtsräte traten daraufhin zurück.

Energoatom – fehlende Kontrolle bei Milliardenprojekten

Auch beim staatlichen Atomkonzern Energoatom berichtet die NYT von einem monatelang blockierten Aufsichtsrat. Währenddessen liefen große Infrastrukturprojekte weiter, laut Medienberichten teilweise ohne ausreichende Kontrolle. Parallel ermittelten Antikorruptionsbehörden wegen mutmaßlicher Kickback-Zahlungen in Höhe von rund 100 Millionen US-Dollar. Erst später wurde das Kontrollgremium formal bestätigt – allerdings erneut mit offenen Sitzen, was die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte.

Rüstungsbeschaffung – Verträge ohne funktionierende Aufsicht

Besonders heikel sind die Vorwürfe im Verteidigungssektor. Die neu gegründete staatliche Beschaffungsagentur sollte eigentlich unter strenger Aufsicht operieren. Doch laut NYT wurden über viele Monate Geschäfte im Wert von rund einer Milliarde Dollar abgeschlossen, bevor der Aufsichtsrat arbeitsfähig war. In diesem Zeitraum kam es zu umstrittenen Verträgen, unter anderem mit Herstellern, die Munition niedriger Qualität geliefert haben sollen. An der Front sollen Mörsergranaten demnach teilweise versagt haben.

  • Europas Politiker wussten über die Missstände Bescheid – und lieferten weiter, berichtet die New York Times. Im Bild: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Präsident Selenskyj in Kiew (Bild: APA/Anatolii STEPANOV)

Reaktionen Europas und was jetzt auf dem Spiel steht

Die Recherche beschreibt ein Dilemma westlicher Partnerstaaten. Botschaften, Entwicklungsbanken und Expertengremien sollen demnach wiederholt auf Probleme hingewiesen haben. Interne EU-Dokumente warnten vor „anhaltender politischer Einflussnahme“ in staatlichen Unternehmen. Öffentlich betonte Brüssel allerdings, man habe keine Belege für eine missbräuchliche Verwendung europäischer Mittel.

Mehrere internationale Vertreter werden von der NYT zitiert, die ein Spannungsfeld beschreiben: Einerseits sei gute Regierungsführung eine Voraussetzung für weitere Mittel, andererseits habe man die Ukraine in einer Phase hoher militärischer Belastung nicht destabilisieren wollen.

Gefahr für Wiederaufbau und Westintegration

Politisch könnte der Fall weitreichende Folgen haben. Die Ukraine hatte ihren EU-Beitrittsprozess und die NATO-Annäherung auch mit dem Ziel gestartet, Korruption zu bekämpfen und staatliche Institutionen zu stärken. Die aktuellen Recherchen stellen diese Fortschritte infrage. Vertreter internationaler Entwicklungsbanken warnen bereits, dass Zurückhaltung bei der Bereitstellung großer Zukunftsinvestitionen wahrscheinlich sei, sollte sich die Lage nicht verbessern.

Korruption, so die NYT, bedeute letztlich, dass Mittel fehlen, die die Energieinfrastruktur oder die Verteidigung hätten stärken können und damit unmittelbar sicherheitsrelevant seien.

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