von mag 15.07.2023 07:15 Uhr

Scharfe Maßnahmen zur Italianisierung Südtirols

Heute auf den Tag genau vor 100 Jahren hat Ettore Tolomei den Maßnahmenkatalog zur schnellen Italianisierung Südtirols vorgestellt. Das 32-Punkte-Programm – von den Italienern „Provvedimenti per l’Alto Adige“ genannt – wurde zuvor (im März 1923) vom faschistischen Großrat in Rom genehmigt und von mit großem Stolz erfüllten Ettore Tolomei selbst, am 15. Juli 1923 im Bozner Stadttheater der Öffentlichkeit präsentiert. Bei dem versammelten Publikum erntete Tolomei für seine Ausführungen lang anhaltenden Applaus, das Medienecho im In- und Ausland war beträchtlich.

Der italienische Irredentist und Faschist Ettore Tolomei präsentierte mit großem Stolz sein 32-Punkte-Programm (Quelle: bas.tirol).

Unter tosendem Beifall begann Tolomei, der von Benito Mussolini selbst mit der Leitung dieses verwerflichen Vorhabens betraut worden war, seine Rede vor Seinesgleichen im Bozner Stadttheater sinngemäß wie folgt: „Faschistische Genossen! Wir stehen am Beginn einer neuen Ära. In Bozen beginnt heute die Ära des Faschismus. Mussolini, unser großer Duce, ist hier im Geiste bei uns anwesend. Der Duce verfolgt die Entwicklung der Nation mit großem Interesse. Die Geschichte Südtirols wird für alle Zeiten den Stempel des Faschismus tragen“.

Südtirol soll italienisch werden

Tolomeis nationalistisches Programm mit dem Titel „Provvedimenti per l’Alto Adige“, bei dessen Ausarbeitung er von dem glühenden Antisemiten Giovanni Preziosi im direkten Auftrag des Großen Rates des Faschismus unterstützt wurde, sah die Assimilierung und Italianisierung des Südens von Tirol vor. Südtirol war damals zu über 90 Prozent deutschsprachig bewohnt und gegen seinen Willen seit 1919 an Italien angegliedert.

Bereits im November 1922, vier Wochen nach dem Marsch auf Rom (UT24 berichtete), hatten faschistische Gruppen das Bozner Rathaus verwüstet und den deutschen Bürgermeister Julius Perathoner gewaltsam aus dem Rathaus gejagt. Dadurch wurden eine Reihe weiterer Gewalttaten in ganz Südtirol ausgelöst.

Ettore Tolomei, der 1865 in Rovereto/Rofreit, also damals auf österreichisch-ungarischem Gebiet, geboren wurde, hatte 1906 in Trient die Zeitschrift „Archivio per l’Alto Adige“ gegründet, in der er die am Brennerpass festgelegte Wasserscheide als Grenze zwischen Italien und Österreich einforderte.

Ettore Tolomei: Als Verfechter der Brennergrenze und der Italianisierung Südtirols wird er von deutscher Seite auch als „Totengräber Südtirols“ und wegen seiner Ortsnamenübersetzungen als „Ortsnamensfälscher“ bezeichnet.

Im Jahre 1919 hatte Ettore Tolomei als „Experte für Südtirol“ der italienischen Delegation bei den Pariser Friedensverhandlungen angehört und sich dafür eingesetzt, die Volksabstimmung in Südtirol über die Selbstbestimmung des Landes zu verhindern.

Der Totengräber Südtirols macht ernst

Der Höhepunkt von Tolomeis nationalistischem Wahn wurde jedoch am 15. Juli 1923 erreicht, als seine „Provvedimenti per l’Alto Adige“ in 32 Punkten verkündet wurden. Dazu gehörten das Verbot der Verwendung des Namens Südtirol, die Schließung aller deutschsprachigen Schulen, die Abschaffung der deutschen Parteien, die Verpflichtung, in öffentlichen Ämtern nur noch italienisch zu sprechen, sowie die Italianisierung aller Ortsnamen, von den Namen der Städte und Dörfer bis zu den Namen der Berge, Täler und Wasserläufe sowie der Familiennamen.

Die Bozner Nachrichten vom 16. Juli 1923 berichteten unter dem Titel „Tolomei spricht über die Entnationalisierung Südtirols“ ausführlich über den Auftritt Ettore Tolomeis im Bozner Stadttheater.

Die Auswirkungen dieses Programms waren für die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols gravierend. Viele Menschen fühlten sich entwurzelt und ihrer kulturellen Identität beraubt. Ihre Sprache und Traditionen wurden unterdrückt, und sie wurden gezwungen, sich anzupassen oder zu verschwinden.

Auswirkungen noch heute spürbar

Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlangte die Südtiroler Bevölkerung wieder mehr Rechte. Durch den Pariser Vertrag von 1946 wurden Schutzmaßnahmen für die deutschsprachige Minderheit festgelegt, darunter die Möglichkeit, Deutsch als offizielle Sprache zu nutzen und deutschsprachige Schulen zu eröffnen. Das 32-Punkte-Programm wurde weitgehend aufgegeben, obwohl einige der verbliebenen Maßnahmen – wie z. B. die alleinige amtliche Gültigkeit der faschistischen Ortsnamen – bis heute weiter wirken. Und hier stellt sich natürlich die Frage, wie das offizielle Italien sowie die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols diese Schanddaten Tolomeis heute bewertet? Anscheinend ist hier eine zufriedenstellende Lösung auch nach 100 Jahren „Provvedimenti per l’Alto Adige“ immer noch nicht in Sicht.

Insgesamt hatte der 32-Punkte-Maßnahmenkatalog von Ettore Tolomei eine starke und nachhaltige Wirkung auf Südtirol. Es drängte die Tiroler Identität in den Hintergrund und setzte das nationalistische Italien als dominante Kraft im Land durch. Die langfristigen Auswirkungen dieser faschistischen Politik sind noch heute spürbar, obwohl sich die Situation für die deutschsprachige Minderheit – im nach wie vor fremden Staat – natürlich verbessert hat. Es bleibt eine bleibende Erinnerung an die schwierigen Zeiten, in denen die kulturelle Identität Südtirols stark bedroht war.

Der italienische Irredentist und Faschist Ettore Tolomei präsentierte mit großem Stolz sein 32-Punkte-Programm (Quelle: bas.tirol).

Ettore Tolomeis 32 „Provvedimenti per l'Alto Adige“
1. Vereinigung des Alto Adige und des Trentino in einer einzigen Provinz mit Hauptstadt Trient.
2. Ernennung italienischer Gemeindesekretäre.
3. Revision der (Staatsbürgerschafts-) Optionen und Schließung der Brennergrenze für alle Personen, denen die italienische Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt worden war.
4. Einreise- und Aufenthaltserschwernisse für Deutsche und Österreicher.
5. Verhinderung der Einwanderung Deutscher.
6. Revision der Volkszählung von 1921.
7. Einführung des Italienischen als Amtssprache.
8. Entlassung der deutschen Beamten bzw. Versetzung in die alten Provinzen.
9. Auflösung des „Deutschen Verbandes“.
10. Auflösung aller Alpenvereine, die nicht dem italienischen Alpenverein unterstanden; Übergabe der Schutzhütten an den italienischen Alpenverein.
11. Verbot des Namens „Südtirol“ und „Deutsch-Südtirol“.
12. Einstellung der in Bozen erscheinenden Tageszeitung „Der Tiroler".
13. Italianisierung der deutschen Ortsnamen.
14. Italianisierung der öffentlichen Aufschriften.
15. Italianisierung der Straßen- und Wegbezeichnungen.
16. Italianisierung der verdeutschten Familiennamen.
17. Entfernung des Denkmals Walthers von der Vogelweide vom Bozner Waltherplatz.
18. Verstärkung der Carabinieritruppe unter Ausschluss deutscher Mannschaften.
19. Begünstigung von Grunderwerb und Einwanderung von Italienern.
20. Nichteinmischung des Auslandes in Südtiroler Angelegenheiten.
21. Beseitigung deutscher Banken, Errichtung einer italienischen Bodencreditbank.
22. Errichtung von Grenzzollämtern in Sterzing und Toblach.
23. Großzügige Förderung der italienischen Sprache und Kultur.
24. Errichtung italienischer Kindergärten und Volksschulen.
25. Errichtung italienischer Mittelschulen.
26. Strenge Kontrolle von Auslands-Hochschuldiplomen.
27. Ausbau des Istituto di Storia per l'Alto Adige.
28. Änderung des Gebietsumfangs des Bistums Brixen und strenge Kontrolle der Aktivität des Klerus.
29. Verwendung des Italienischen bei Prozessen und vor Gericht.
30. Staatliche Kontrolle der Handelskammer Bozen und der landwirtschaftlichen Körperschaften (Corporazioni).
31. Umfangreiche Programme für neue Eisenbahnknoten, um die Italianisierung des Alto Adige zu erleichtern (Bahnprojekte Mailand-Mals, Veltlin-Brenner, Agordo- Brixen).
32. Steigerung des Truppenbestandes im Alto Adige.
(Quelle: Alfons Gruber: „Südtirol unter dem Faschismus“ - Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes - Bozen 1974)
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