von fe 21.05.2020 12:29 Uhr

Verärgerte Eltern

Dass nicht alle Eltern die kürzlich eingerichtete Notfallbetreuung für Kinder im Kindergarten- und Grundschulter in Anspruch nehmen können, sorgt für Unmut. Vor allem Eltern in Homeoffice kommen an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Aus diesem Grund hat eine Gruppe von Eltern aus Meran einen offenen Brief an die Politik verfasst.

APA (dpa)

Der Brief geht auch an alle Medien. „Es ist höchste Zeit dieses Thema umfassend aufzugreifen und Änderungen einzuleiten“, so die Auffassung der Eltern.

Der ganze Brief im Wortlaut:


Sehr geehrte Landesräte und Landesrätinnen, sehr geehrte Medienvertreterinnen und Medienvertreter, Sehr geehrter Landeshauptmann

Die kürzlich präsentierte Notfallbetreuung für Kinder im Grundschul- und Kindergartenalter hat Entwicklungspotential. Die Kriterien für die Zulassung sind eng. Zu eng. Viele Eltern benötigen diesen Dienst, weil von zu Hause aus arbeiten, nebenbei Kinder unterrichten (!), das Familienleben organisieren und die Gesellschaft am Laufen halten eben eine kaum zu bewältigende Herausforderung ist. Für Menschen im Homeoffice ist die Notfallbetreuung jedoch nicht zugänglich. Warum?

Die Politik (und sogar offizielle VertreterInnen von Familieninteressen) vertraut darauf, dass Eltern allein zurecht kommen. Und irgendwie – so die Hoffnung der zuständigen PolitikerInnen – wird diese Rechnung auch aufgehen, weil Eltern immer für ihre Kinder da sind. Nachsatz: Bis zum Zusammenbruch. Und darunter leiden Arbeit und Kinder.

Die Entscheidung für eine derartige „Notfallbetreuung“ hat gravierende Konsequenzen. Viele Eltern und Erziehungsberechtigte sind bereits jetzt, nach über acht Wochen Coronanotfalldienst zu Hause an ihren physischen und psychischen Grenzen angelangt, sie sind müde und kraftlos, viele sogar zu schwach, um sich
innerhalb der 24 Stunden für die Notbetreuung zu melden oder sich jetzt darüber aufzuregen. Und das alles in jenem Moment, als Eltern erfahren, dass auch die Sommerbetreuungsangebote ersatzlos gestrichen wurden.
Wir, eine Gruppe Eltern aus Meran, haben das Gefühl, dass sich die EntscheidungsträgerInnen der Konsequenzen ihres Tuns nicht bewusst sind. Deshalb möchten wir Ihnen auf diese Weise dringend nahelegen:

1) die Notfallbetreuung unverzüglich auszuweiten auf alle Eltern, die Unterstützung brauchen,
2) allen Eltern und Erziehungsberechtigten sofortigen und bürokratisch einfachen Zugang zu psychologischer Betreuung zu ermöglichen und zwar auch bei freiberuflichen ExpertInnen, wie dies bereits seit langem in vielen EU-Länder üblich ist, ohne lange Wartezeiten,
3) alles zu unternehmen, dass die Sommerbetreuung der Vereine wieder aktiviert wird,
4) jenen Eltern, die sich in gegenseitiger Hilfe inzwischen selbst organisiert haben und ein gut funktionierendes Betreuungsangebot auf die Beine gestellt haben, sollen finanziell unterstützt werden, denn sie bieten einen Dienst für die Gemeinschaft,
5) Die Erfahrung aus der Krise zu nutzen, um flexiblere Arbeitszeitmodelle und eine Family-first-Politik voranzutreiben in Abstimmung mit Elterngruppen.

Wir sind müde, weil wir gezwungen sind die Last des Systems zu tragen, ohne überhaupt gefragt worden zu sein. Unsere Stimme mag zwar leiser sein, als die von Unternehmer- oder Wirtschaftslobbies. Sie ist ernst zu nehmen. Es ist ein stiller Schrei, von jenen, die alles geben. Und es sind meist weibliche Stimmen, so wie es auch Elisabeth Raether in ihrem Essay (Die Zeit.de) erst kürzlich auf dem Punkt gebracht hat: „die unbezahlte Arbeit der Frauen ist eine Quersubventionierung der Privatwirtschaft“. Mittlerweile gibt es auch immer mehr Väter, die Kinderbetreuung als sinnvoll erachten und sich zu Hause engagieren.

Es ist höchste Zeit, dass Sie als LandesrätInnen und Medienschaffende sich endlich mehr und ganzheitlich für Familien und ihre Bedürfnisse einsetzen und zwar auf allen Ebenen. Es geht schließlich auch um die Wirtschaft. Wie steht es denn um die Gesundheit von Mitarbeitenden in den systemrelevanten Berufen und nicht, wenn sie über Monate Disstress ausgesetzt sind, ohne Möglichkeit, dem zu entkommen? Wie ist es denn erst im Herbst (bei einer möglichen Grippewelle) um das Immunsystem dieser Menschen bestellt, wenn sie weiterhin dieser xfachBelastung ausgesetzt sind?

Der mächtigste Gegner des Coronavirus bleibt immer noch ein gesundes Immunsystem. Warum also nicht dort ansetzten, wo langfristig die größten und sichersten Erfolge zu erwarten sind? Es ist hinlänglich bewiesen, dass Distress das Immunsystem schwächt und langfristig negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit hat. Die Folge sind mehr Krankenstände, Burnout, fehlende Motivation durch Überlastung. Dass die offizielle Krankenstatistik kaum Krankenstände bei den Südtirolern aufweist, unterstreicht die Dramatik der Situation: SüdtirolerInnen gehen nämlich arbeiten, auch wenn sie physisch oder psychisch schon längst krank sind (vgl.“Krankenstand unfallbedingte Fehlzeiten und Präsentismus in Südtirol“; http://afi-ipl.org/wpcontent/uploads/2018-04-13-Zoom-EWCS-Fehltage.pdf). Will Südtirol mit kranken MitarbeiterInnen die Wirtschaft stemmen? Ist das das Ziel?

Jetzt wo viele Familien nicht mehr auf die Unterstützung der Großeltern zurückgreifen können, droht der Kollaps, und nein, nicht alle halten dies noch weitere vier Wochen durch, bzw. drei Monate, da ja der Urlaub bei den meisten aufgebraucht ist. Und sehr geehrte Entscheidungsträger, lassen wir endlich die Großeltern Großeltern sein. Es ist beschämend, dass unsere so stark sich selbst preisende Wirtschaft darauf gründet, dass die Großeltern die Elternarbeit ersetzen. Wir wünschen uns, dass unsere Anliegen ernst genommen werden. Wir wünschen uns auch mehr Entscheidungsmacht und finanzielle Unterstützung. Mögen Sie nun
unverzüglich dazu über gehen ganzheitliche, familienzentrierte Sachpolitik zu betreiben, die das Wohl und die Gesundheit der Familien in den Mittelpunkt stellt.

Vielen Dank!

1) Martina Lanthaler, Ärztin
2) Raich Katrin,Krankenschwester
3) Irene schlechtleitner, Alleinerziehende im Homeoffice
4) Ursula Nardo, Freiberufliche Masseurin
5) Nadja Kühnert, in Teilzeitarbeit angestellte Goldschmiedin, Mutter von 2 Kindern,
alleinerziehend
6) Marion Raich, Lehrerin
7) Verena Khuen, Physiotherapeutin
8) Pezzuto Christina, Masseurin
9) Verena Gamper, Sozialassistentin
10) Petra Praxmarer, Gastgewerbe
11) Raffaele Virgadaula, Psychologe/Deejay
12) Verena Wolf, Sozialassistentin
13) Lanthaler Karin, Rentnerin
14) Jessica Rauch,
Arbeit: Materialwirtschaft und Einkauf in einem logistik unternehmen
15) Brigitte Ennemoser, Sozialassistentin
16)Monika Pixner, Verkäuferin
17) Miriam Donà, Lehrperson
18)Gerda Luther, Geschäftsführerin
19) Elisabeth Tappeiner, Logopädistin
20) Siegrid Ladurner Kinderkrankenschwester,seit einigen Jahren “nur” Hausfrau und
Mutter von 5 Kindern,angehende Tagesmutter
21) Evi Nussbaumer
22) Pflegehelferin
23)Manuela Öttl Angestellte
24) Kandidus Burgmann Angestellter
25) Ibrahim Azeez, Pizzeria Inhaber
26) Johanna Elisabeth Mair-Bucci, Unternehmerin
27) Sylvia Lehnig, Architektin (Freiberufler)
28) Alessandra Molinari, fisioterapista
29) Elisabeth Tappeiner, Logopädin
30) Karin Zingerle, Lehrerin
31)Marion Winkler

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  1. Diandl
    21.05.2020

    Interessiert Sie die Antwort Achammers an eine Unternehmerin, Alleinerziehende mehrerer Kinder, die schon monatelang (!) nicht mehr vor Mitternacht zu Bett gekommen, ist, weil sie alles unter einen Hut bringen MUSS: Betrieb, Familie, Heimunterricht, Haushalt?
    Achammer meint dazu: ” Verstehen Sie aber auch, dass die aktuelle Situation mit den Sicherheitsauflagen auf eine Einschränkung auf die wirklichen Härtefälle in den Zugangskriterien abzielen muss.”
    Wenn ein Landesrat so etwas von sich gibt, erübrigt sich jedes weitere Wort. SCHÄMEN SOLL ER SICH!

  2. Diandl
    21.05.2020

    Das kann ich sofort unterschreiben! Nur glaube ich, die Angesprochenen in der Landesregierung werden dies nicht lesen, da zu überheblich. Sollen die Leute doch schauen, wie sie weiterkommen!
    Die Hanseln und Hanselinnen in der Landesregierung müssen sofort ihre Plätze räumen und Platz für neue Leute mit neuen Ideen machen! Achammer und Kompatscher haben keine Ideen mehr, wie sie das Problem angehen können, geschweige denn, Lösungen präsentieren. Von der “Familienzuständigen” Frau D. habe ich auch noch keine brauchbaren Lösungsvorschläge gehört. Ich weiß nicht, für welche Lobby die arbeitet, für die Familien jedenfalls nicht.

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