von ih 14.01.2018 07:47 Uhr

Deutsche Flüchtlingspolitik nähert sich jener Österreichs an

Deutsche Politologen nehmen die Unterschiede zwischen der österreichischen und der deutschen Regierung in der Flüchtlings- und Europapolitik unter die Lupe – und die Unterschiede zwischen den Regierungschefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Angela Merkel (CDU). Kurz stattet Merkel am Mittwoch seinen Antrittsbesuch in Berlin ab.

APA

Kurz habe in den vergangenen Jahren seine Rolle als Außenminister geschickt dazu genutzt, für Österreich die Führerschaft jener Länder zu übernehmen, die die Balkanroute schließen und eine restriktivere Flüchtlingspolitik betreiben wollten. „Er war damit deutlich erfolgreicher, als die deutsche Bundesregierung, die davon profitiert hat“, meint Thomas Jäger von der Universität Köln. „Selbstverständlich war man in Berlin froh, dass Österreich so vorgeht. Aber gleichzeitig beteuerte man in Berlin, dass das so nicht geht.“ Deutschland versuche, seine Geschichte aufrecht zu erhalten, wonach das Abkommen mit der Türkei alles regle und von Grenzschließung keine Rede sein müsse.

Auf die Frage der APA, ob Deutschland seine Linie an die Österreichs anpassen werde, meint Jäger: „Das wird ja schon gemacht, indem die Zahl der Asylwerber reduziert und die Grenzen stärker kontrolliert werden.“ Problematisch sei, dass der Migrationsdruck aus demografischen und ökonomischen Gründen auch in den nächsten Jahrzehnten anhalten werde, aber Europa in dieser Frage keinen gemeinsamen Umgang habe.

Der Kölner Politologe erinnert an den langsamen Wechsel Österreichs in der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzler Werner Faymann, der anfangs voll auf Merkels Linie gewesen sei, über die Abschwächung unter dem Nachfolger Christian Kern und schließlich die diametral gegenteilige Position zur deutschen Bundesregierung unter Sebastian Kurz. Kurz mache deutlich, dass die Quotierung von Flüchtlingen gescheitert sei und diese falsche Politik die EU schwächen würde, wogegen Merkel nach wie vor der Meinung sei, dass hier die europäische Solidarität gewahrt werden müsse. „Da muss man abwarten, wie das ausgeht.“

„Andernfalls wäre die AfD noch stärker geworden“

Auch Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin sieht die Widersprüchlichkeit in der deutschen Haltung: „Die bisherige Flüchtlingspolitik von Sebastian Kurz war der Politik von Angela Merkel entgegengesetzt, andererseits hat sie Merkel davor bewahrt, in Deutschland noch mehr Probleme zu bekommen.“ Speziell die Schließung der Balkanroute habe Deutschland genützt. „Andernfalls wäre die AfD noch stärker geworden, als sie ohnehin schon war. Aber das konnte weder die deutsche Regierung noch Merkel selbst so sagen. Im Gegenteil, man ermahnte Österreich, weniger restriktiv vorzugehen.“

Nun müsse man jedoch miteinander auskommen, da Österreich ein wichtiger Faktor in der EU sei. Die Differenzen blieben zwar bestehen, doch mit dem Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU/CSU und SPD sei klar geworden, dass sich die deutsche Flüchtlingspolitik durchaus der österreichischen etwas annähere, findet Niedermayer im Gespräch mit der APA. Für das gegenseitige Verhältnis sei das positiv.

Ein weiterer namhafter Politikwissenschaftler der Freien Universität wollte das Verhältnis nicht kommentieren und sagte nur: „Lädt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf die CSU-Klausurtagung ein, kontert das Angela Merkel mit Sebastian Kurz.“

„Kurz hat großes politisches Talent“

Stephan Bröchler von der Humboldt Universität Berlin konzediert Kurz großes politisches Talent, sorgt sich jedoch mit der Frage, „welche Richtung Österreich mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Blick auf die EU und zu Deutschland im Besonderen einschlägt“.

„Wird Österreich zur Überwindung der Krise der EU beitragen, wie sie gerade in der Migrations- und Flüchtlingspolitik augenscheinlich ist, oder wirkt sich die Politik von Sebastian Kurz im Gegenteil krisenverschärfend aus? So oder so kommt Bundeskanzler Kurz eine wichtige strategische Rolle zu“, betont Bröchler.

Ein weiterer politischer Beobachter konzentriert sich auf die Geheimdienste, die nun unter FPÖ-Ministern arbeiten. Er habe Berichte, wonach die deutschen Dienste in der Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen vorerst mit einiger Vorsicht agierten. Hier sei in der Kooperation selbstverständlich eine Neubewertung zu erwarten. Ob man zur bisherigen Routine zurückkehre, hänge davon ab, wie professionell die FPÖ-Ministerien arbeiten.

Ob Merkel und Kurz persönlich miteinander können? „Es ist bekannt, dass Merkel mit Personen, denen Charisma nachgesagt wird, generell ihre Probleme hat“, weiß Thomas Jäger von der Uni Köln. Das habe man anfangs auch im Fall Barack Obamas gesehen. „Aber am Ende kommt es darauf an, dass beide, Merkel und Kurz, professionell miteinander arbeiten, die Interessen gemeinsam ausverhandeln und sie eine gemeinsame Linie finden. Das ist viel wichtiger, als dass die persönliche Chemie stimmt. Allerdings sehe ich in der Europapolitik Unterschiede zwischen den beiden, die sich nicht so schnell beheben lassen.“

APA

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