von red 21.12.2017 16:10 Uhr

Doppelpass: Eine Erklärung am Beispiel Brasiliens

Die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler ist in aller Munde. Eine Erklärung anhand von drei Situationen in Brasilien.

Bild: Land Österreich

Von Everton Altmayer

Situation 1

In Brasilien leben Tausende von „Austro-Brasilianern“, d. h. von Brasilianern, die außer der brasilianischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Diese Personen sind Kinder, Enkel oder Urenkel von Österreichern, die nach 1921 nach Brasilien ausgewandert sind; sie haben bei den österreichischen Konsulaten die notwendige Dokumentation vorgelegt, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Grundsätzlich funktioniert das folgendermaßen: Man legt die Dokumente über den Vorfahren in direkter Linie (meistens Urgroßvater/Großvater bis Urenkel/Enkel) vor, der nach Brasilien ausgewandert ist. Man wartet etwa 60 bis 90 Tage, und wenn die Dokumente für Österreich in Ordnung sind, erhält man die österreichische Staatsbürgerschaft. Fertig.

Letzthin gab es viele Kommentare über das Koalitionsprogramm der neuen österreichischen Regierung, das die doppelte Staatsbürgerschaft für die Südtiroler vorsieht, d.h. für die Tiroler, die im südlichen Teil Tirols leben. Dieses Gebiet gehörte seit dem Mittelalter zu Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurde der südliche Teil Tirols von Italien besetzt, 1920 annektiert und in zwei Provinzen aufgeteilt, die heute autonom sind.

Nach welchem Kriterium sollte die österreichische Staatsbürgerschaft den Tirolern verliehen werden, die im südlichen Teil Tirols leben? Es liegt auf der Hand, dass es kein anderes Kriterium geben kann als dass die Nachfahren österreichischer Staatsbürger die entsprechende Dokumentation vorlegen. So funktioniert es in Brasilien, in Argentinien, in Peru. Warum sollte es in Südtirol anders sein?

Situation 2

Die Republik Italien hat die doppelte Staatsbürgerschaft an mehr als 400.000 Nachfahren von italienischen Auswanderern verliehen, die vor allem zwischen 1870 und 1950 ausgewandert sind. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, es sind aber auf jeden Fall sehr viele.

Von den „Italo-Brasilianern“ mit der doppelten Staatsbürgerschaft italienisch-brasilianisch spricht nicht einmal die Hälfte Italienisch. Das ist eine Tatsache. Aber für das italienische Parlament sind mit den Stimmen der Italo-Brasilianer zwei Abgeordnete (ein Italiener und eine Brasilianerin mit doppelter Staatsbürgerschaft) sowie ein Senator (Brasilianer mit doppelter Staatsbürgerschaft) gewählt worden.

Das heißt, dass Italien in seinem Regierungsprogramm die Vertretung der Italiener in aller Welt als politisches Ziel hat. Die Republik Italien hat die doppelte Staatsbürgerschaft an tausende italienischsprachige Kroaten und Slowenen verliehen. Diese Gebiete gehörten früher zum österreichisch-ungarischen Kaiserreich und zu Jugoslawien. Warum kann dann die Republik Österreich nicht an eine Minderheit österreichischen Ursprungs, die eine autonome Region bildet, die österreichische Staatsbürgerschaft vergeben? Wo wäre das Problem? Es würden meiner Meinung nach jene ansuchen, die die Staatsbürgerschaft wollen und die die notwendigen Unterlagen für das Ansuchen haben. Wo ist das Problem?

Situation 3

Zurück nach Brasilien. Sehr viele Nachfahren der mehr als 50.000 Tiroler, Görzer und Friauler, die zwischen 1858 und 1910 ausgewandert sind, haben in Brasilien versucht, die österreichische Doppelstaatsbürgerschaft zu erhalten. Dies wurde ihnen aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges verwehrt.

Der Vertrag von St. Germain hat nämlich der neuen Republik Österreich Beschränkungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft auferlegt. Die Nachfahren hatten sich an die österreichischen Konsulate gewandt, da ihre Vorfahren im Kaiserreich Österreich-Ungarn geboren waren; sie waren als Österreicher aus den Gebieten ausgewandert, die heute als Regionen Trentino-Südtirol und Friaul-Julisch Venetien zu Italien gehören.

Die meisten dieser Auswanderer waren italienischsprachig, aber in Brasilien erklärten sich alle als Österreicher. Da die Gebiete, aus denen diese Auswanderer stammten, nicht mehr zu Österreich gehören, versuchten ihre Nachkommen (zu 80 Prozent Enkel und Urenkel von Welschtirolern) daraufhin, die doppelte Staatsbürgerschaft in den italienischen Konsulaten zu erhalten, aber auch dort wurden sie zunächst abgewiesen, weil ihre Vorfahren ja Österreicher und nicht Italiener waren, wie man ihnen erklärte.

Erst im Jahr 2000 hat ein italienisches Sondergesetz (379/2000) den Nachkommen jener österreichischen Auswanderer, deren Ursprungsgebiete von Italien annektiert wurden, die Möglichkeit gegeben, bis zum Jahr 2005 um die italienische Staatsbürgerschaft anzusuchen. Der Termin wurde dann bis 2010 verlängert. Danach war Schluss.

Etwa 30.000 Nachkommen legten die erforderlichen Unterlagen in den italienischen Konsulaten in Brasilien vor. 15 Jahre nach Erlass des Gesetzes hatte etwa ein Drittel der Antragsteller die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Für die Nachkommen italienischer Emigranten besteht das italienische Gesetz 91/92. Die Nachkommen legen die erforderlichen Unterlagen in den italienischen Konsulaten vor und erhalten, wenn die Unterlagen in Ordnung sind, ein positives Gutachten. Im Jahr 2016 hat Italien allein in Brasilien 21.000 italienische Pässe ausgegeben. In den italienischen Konsulaten in Brasilien liegen derzeit 110.000 dokumentierte Anträge um italienische Staatsbürgerschaft, rund 80.000 Brasilianer sind bereits auch italienische Staatsbürger.

Dr. Everton Altmayer ist Sprachforscher und Obmann des österreichischen Kulturvereins „Dona Leopoldina“ aus Dreizehnlinden (Brasilien).

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