von fe 03.12.2017 10:37 Uhr

Doppelte Staatsbürgerschaft oder Regionalbürgerschaft?

Der Brief der 19 Landtagsabgeordneten zum „Doppelpass“ hat die SVP wieder in Zugzwang versetzt. Die SVP will sich zwar nichts „auf undiplomatische Art“ von außen zurufen lassen, nicht einmal von der Mehrheit des Landtags, immerhin das einzige direkt gewählten Organ auf Landesebene. Dennoch sieht sich der SVP-Obmann gedrängt, auf den Zug aufzuspringen, allerdings – so präzisierte Philipp Achammer in der RAI-Tagesschau – im europäischen Geist.

Bild: BM.I

Kommentar von Thomas Benedikter

Entspricht eine Doppelstaatsbürgerschaft tatsächlich dem europäischen Geist? Eher nicht, denn in der EU ist man schon längst übereingekommen, von Mehrfachstaatsbürgerschaften abzugehen und die Unionsbürgerschaft zu betonen. EU-Bürgerinnen sollen in der ganzen EU gleichberechtigt sein, sie wählen auch schon bei Kommunalwahlen im jeweiligen Wohnsitzland, was durchaus auch aufs Regionalwahlrecht ausgedehnt werden könnte. Wo man lebt, arbeitet und Steuern zahlt, soll man auch die Politik mitbestimmen können. Dieser einfache Grundsatz entspricht nicht nur den EU-Verträgen, sondern auch der Demokratie. Geht Österreich davon ab, müsste es für Südtirol eine Ausnahme schaffen und gerät in die Verlegenheit, bei Gewährung seiner Staatsbürgerschaft das EU-Diskriminierungsverbot nicht zu verletzen.

Andererseits gewährt Italien die Doppelstaatsbürgerschaft nicht nur gut 4,8 Millionen Auslandsitalienern, sondern auch den Angehörigen einiger italienischer autochthoner Minderheiten (z.B. in Istrien). Machen solche Doppelstaatsbürgerschaften für ein demokratisches Gemeinwesen Sinn? Einerseits können nun die Auslandsitaliener, auch wenn sie nie mehr zurückkommen, über die Wahl des Parlaments die italienische Politik mitbestimmen (z.B. auch das Südtiroler Autonomiestatut), und gut eine Million nutzt dieses Recht regelmäßig. Andererseits haben über 5 Millionen legal in Italien ansässige Ausländer nicht das geringste Wahlrecht, auch wenn sie 30 Jahre im Land leben. Im Unterschied zu den seit 1861 ausgewanderten Italienern und ihren Nachfahren waren überdies die Südtiroler nie Bürger des Staats Österreich.

So bietet sich die paradoxe Situation, dass z.B. ein „Südtiroler Kosovare“, der hier integriert oder gar schon in zweiter Generation lebt, kein politisches Mitspracherecht genießt, während ein Urenkel von nach Argentinien ausgewanderten Italienern die italienische Politik (auch unser Autonomiestatut) mitbestimmt. Dieses Argument gilt auch für die künftigen Südtiroler mit österreichischer Staatsbürgerschaft: warum sollte man in Wien die Steuer-, Finanz- und Rentenpolitik mitbestimmen, ohne in Bozen von jenem Steuer-, Finanz- und Rentenrecht irgendwie betroffen zu sein?

Auch für Südtiroler patriotische Kräfte und insbesondere die Freiheitlichen, die ein unabhängiges Südtirol zu ihrem Leitbild erkoren haben, macht die österreichische Staatsbürgerschaft keinen rechten Sinn. Entweder man will sich Österreich angliedern und betrachtet den Erwerb der Staatsbürgerschaft als einen Schritt dahin. Zuerst das Volk sozusagen, dann das Territorium. Ein unabhängiger Staat hat aber seine eigene Staatsbürgerschaft, und die gilt für alle Südtiroler gleich welcher Sprache, wie die Freiheitlichen betonen. Doch warum sollte man die Südtiroler zur Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft bewegen, wenn man später in einem eigenen Staat Südtirol leben will?

Die Alternative im europäischen, eher noch im autonomistischen Geist wäre eine Regionalbürgerschaft, wie sie die Aland-Inseln in Finnland eingerichtet haben. Wer auf Aland ausreichend Schwedisch spricht und mindestens 5 Jahre ansässig war, kann dieses „Hembygdsrätt“ (Heimatrecht) erwerben und damit die Gewerbefreiheit, das Recht auf Grunderwerb sowie das lokale Wahlrecht. Dies in Übereinstimmung mit Unionsrecht wohlgemerkt. Um echt europäisch zu sein, könnte diese Regionalbürgerschaft jedoch inklusiver ausgestaltet werden. Wer in Südtirol lebt, also eine Mindestansässigkeit aufweisen kann, die Landessprachen erlernt, hier Steuern zahlt und sich Südtirol verbunden fühlt, soll auch die politischen Rechte genießen und eventuell die Gleichstellung als Bewerber im öffentlichen Dienst erhalten. Das praktizieren auch zahlreiche Schweizer Kantone so, während in Italien allerdings fürs Landtagswahlrecht für Ausländer vorab das staatliche Wahlrecht geändert werden müsste. Eine solche Regionalbürgerschaft würde alle Sprachgruppen gleichermaßen ansprechen, und auch Migranten könnten sich zugehöriger fühlen.
Den im Land lebenden Menschen mehr Anreiz zur Integration zu bieten und damit alle besser zu verwurzeln, ist wichtiger als nur einem Teil der Bevölkerung eine ausländische Staatsbürgerschaft anzudienen, um sich als Bürger Österreichs zu fühlen, was man de facto nicht ist.

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