Redaktion UT24

21.08.2017

Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

Wie ein bisher weitgehend im Dunkel verborgener Emissär das Nachkriegsgeschehen zwischen Wien und Rom hinter den Kulissen zu beeinflussen vermochte.

Rudolf Moser (links im Bild) begrüßt den italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi 1952 vor seinem Haus in Kärnten

Von Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt

Der Brenner ist in aller Munde. Wieder einmal; er war es schon so oft. Nützten ihn einst römische Legionäre als einen der Alpenübergänge bei der Eroberung von Teilen Germaniens, so „wanderten“ alsbald ganze „Völker“ über den Brenner gen Süden, um Teile der Konkursmasse des weströmischen Reichsteils zu besiedeln. Und seit dem 8. Jahrhundert sah der Brenner nicht selten die titularischen Nachfahren der Imperatoren: Herrscher des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation auf Krönungs-, Pilger-, Buß- oder Kriegsfahrt gen Rom oder hinab bis Apulien und Sizilien. Nicht zu vergessen Adelige auf „Kavaliersreise“; geistliche Herren zum Besuch der „Ewigen Stadt“; Literaten, Künstler und Gelehrte auf Entdeckung der „wiedergeborenen Antike“ oder – weniger (geistes)geschichtlich motiviert – auf Exkursion ins gelobte „Land wo die Zitronen blüh’n“. Händler und Frächter quer(t)en den Brenner-Pass ebenso in hoher Zahl wie Touristen in Massen. Und neuerdings, unter völkerwanderungsartig anschwellendem Zustrom afrikanisch-orientalischer Migranten über die „Italien-Route“ nach Mitteleuropa, nimmt der enge Gebirgseinschnitt wieder seine Rolle als neuralgisches Kontroll-Areal am Ãœbergang zum Bundesland Tirol ein, welches seit dem Schlagbaum-Abbau nach Österreichs EWG-Beitritt (1. Januar 1995) als obsolet galt.

Unrechts- und Schandgrenze Brenner

Jetzt ist die 1918/19 zu St. Germain-en-Laye – entgegen den vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vorgeschlagenen „Grundzügen einer Friedensordnung“, deren Punkt 9 (von 14 Punkten) die „Berichtigung der Grenzen Italiens nach den genau erkennbaren Abgrenzungen der Volksangehörigkeit“ vorsah – festgelegte und 1945/46 beibehaltene Grenze am Brenner also plötzlich wieder da. Verschwunden war sie ja nicht wirklich, sondern lediglich „nicht mehr spürbar“, wie eine medial widerhallende stereotypisierte Politformel besagte und eher oberflächliche Betrachtung von Fahrzeuginsassen darüber hinwegrollender Automobilkolonnen nahelegte. Dass die Brennergrenze Land und Volk der Tiroler seit nunmehr bald hundert Jahren teilt, haftet indes Geschichtsbewussten und –Interessierten im Gedächtnis, die sich überdies des ehedem geläufigen Begriffs „Unrechtsgrenze“ erinnern. Dies war im Vergleich mit „Schandgrenze“, dessen sich viele in beiden Teilen Tirols und weit darüber hinaus bedien(t)en, noch der mildere Ausdruck, um sich ob des Unmuts über den als Kriegsbeute dem unter der Maxime vom „Sacro egoismo („heiliger Eigennutz“) vorgehenden Seitenwechsler Italien zweimal zugesprochenen südlichen Teil Tirols Luft zu verschaffen.

Figl Unterschriften

Im April 1946 wurden dem österreichischen Bundeskanzler Leopold Figl in Innsbruck die Unterschriften überreicht, mit denen die wahlberechtigte Bevölkerung Südtirols dem sehnlichen Wunsch des Anschlusses an Österreich Ausdruck gab. Figl rief der versammelten Menge zu, dass Österreich die Rückkehr Südtirols fordere. Kurz zuvor hatte allerdings sein Emissär Moser in Rom  dem italienischen Ministerpräsidenten De Gasperi die Botschaft überbracht, dass Wien bereit sei, eine Autonomielösung unter Beibehaltung der Brennergrenze zu akzeptieren. Foto: Archiv Golowitsch

Die Selbstbestimmungsfrage

Wilsons 14-Punkte-Plan blieb auf der Pariser Friedenskonferenz chancenlos, auf der vornehmlich die nach Rache dürstenden französischen Teilnehmer das Sagen hatten. Ob dagegen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich die Chance für die in vielfachen eindrücklichen Willensbekundungen der Bevölkerung – Unterschriftensammlungen; Großkundgebungen in beiden Tirol sowie in Salzburg, Linz und Wien; (General-)Streiks – sowie die in politischen und kirchlichen Petitionen zum Ausdruck gebrachte Forderung nach Wiedervereinigung Tirols bestand, ist unter Historikern umstritten.
Rolf Steininger, vormals Direktor des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck und maßgeblicher Akten-Editor sowie Verfasser voluminöser Monographien zur Thematik, stellt dies im Wesentlichen in Abrede. Er begründet dies damit, dass wegen der sich unter den ehemaligen Alliierten alsbald abzeichnenden Rivalität und Uneinigkeit sowie des sich anbahnenden „Kalten Krieges“ die Südtirol-Frage von so untergeordneter Bedeutung gegenüber dem Erhalt Italiens im westlichen Lager gewesen sei, dass sich die USA, Großbritannien und Frankreich rasch auf dessen Verbleib im Stiefelstaat verständigt hätten.
Für Michael Gehler hingegen, den nicht minder renommierten Leiter des Instituts für Geschichte an der Universität Hildesheim und – als ehemaliger Innsbrucker („Schüler“ Steiningers) – über Forschung und Zeitgeschichtsschreibung hinaus beiden Tirol auch familiär eng verbunden, waren Forderungen nach Wiedererlangen der Landeseinheit nicht von vornherein aussichtslos. Für die Zeit nach Abschluss des Gruber-De Gasperi-Abkommens (5. September 1946), dem er den von den regierenden Parteien sowie dem zeitgeistfrommen Teil der Opposition in Wien, Innsbruck und Bozen bejubelten Rang einer „Magna Charta für Südtirol“ absprach, bis hin in die 1960er Jahre, sah er die Wiedervereinigungsfrage zwar weiter für relevant an, die Chance, sie zu beantworten, indes für kaum mehr gegeben.

Grubers Unzulänglichkeiten

Gleichwohl schimmert in Gehlers Einlassungen und Publikationen durch, dass aufgrund eingeschränkter außenpolitischer Handlungsfähigkeit Österreichs und unzulänglichen diplomatischen Geschicks Fehlgriffe passierten, für welche der zu „einsamen“, d.h. ohne Absprache mit Wien und/oder den drei nach Paris entsandten Südtiroler Beobachtern getroffenen Entscheidungen neigende Karl Gruber verantwortlich zeichnete, die minimale Chance auf eine Selbstbestimmungslösung verspielt worden sein dürfte. In seinem Vortrag aus Anlass des 70. Jahrestags der Unterzeichnung, dem am 5. September 2016 auf Schloss Sigmundskron begangenen „Tag der Autonomie“, brachte Gehler dies in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: „Die These von zeitgenössischen politischen Akteuren vom Pariser Abkommen als das ,Maximum des Möglichen‘ ist daher nicht haltbar. Im Lichte der legitimen Südtiroler Forderungen war es nur ein Minimum vom Minimum der ursprünglichen Forderungen und Erwartungen, weil es keine Selbstverwaltung für Südtirol gab, was der eigentliche politische Fehlschlag war. Für eine eigenständige Autonomie wäre mehr zu erreichen gewesen: Österreich war geostrategisch für den Westen auch wichtig und sollte im westlichen Lager gehalten werden. Das britische Angebot in Paris zur Präzisierung des Vertragstexts blieb von Gruber ungenutzt. Er wusste nicht, dass sein Handlungsspielraum gegenüber Italien größer war, zumal De Gasperi noch während der Pariser Friedenskonferenz die Zulassung einer Volksabstimmung in Südtirol fürchtete, die zeitgleich von einer interalliierten Kommission geprüft werden sollte. Diese Forderung war die stärkste Waffe, die Österreich in der Hand hatte. Gruber gab sie vorzeitig preis und verspielte damit das Kapital der Selbstbestimmung als Druckmittel in den Verhandlungen.“ (Publiziert auf: http://www.provincia.bz.it/giornata-autonomia/downloads/Referat_Michael.Gehler.pdf. )

„Furchtbare Hypothek“

Allem Anschein nach fügte sich der österreichische Außenminister letztlich ebenso seinem italienischen Gegenüber Alcide De Gasperi wie den drängenden Siegermächten, um überhaupt etwas mit nach Hause bringen zu können. Das Abkommen vom 5. September, das den Südtirolern anstatt der Selbstbestimmung die autonome kulturelle Entwicklung und politische Selbstverwaltung sichern sollte, erwies sich jedoch alsbald als unzulänglich und schließlich als „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky). Immer wieder erwuchsen aus seiner von De Gasperi zu verantwortenden Verfälschung Anlässe für leidenschaftliche Aufwallungen bis hin zu den Anschlägen in den 1950er bis 1970er Jahren, um die Welt auf die Nichteinhaltung des römischen Vertragspartners sowie die Willkürherrschaft des „demokratischen Italiens“ aufmerksam zu machen, welche sich von jener der Schwarzhemden Mussolinis allenfalls dem äußerlichen Anschein nach unterschied.
Doch es waren nicht allein die aus der (geo)politischen Lage herrührenden Umstände und die Unzulänglichkeiten des zur Pariser Friedenskonferenz entsandten österreichischen Personals sowie das mitunter selbstherrliche Gebaren Grubers respektive der Druck, den die (west)alliierten Siegermächte auf die Beteiligten ausübten und schließlich ein anderes als das von den (Süd-)Tirolern erhoffte Ergebnis zeitigten. Eine soeben erschienene verdienstvolle Dokumentation zeigt anhand zufällig aufgefundenen und nunmehr erstmals zugänglich gemachten sowie ausgewerteten Materials aus einem Privatarchiv und von bisher in der Südtirol-Forschung unbeachtet gebliebenen Unterlagen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv, dass auch hinter den Kulissen Akteure emsig und weitgehend inkognito am Geschehen beteiligt waren. (https://www.amazon.de/Südtirol-westliche-österreichische-unliebsames-schaffte/dp/3702017089/ref=sr_1_5?ie=UTF8&qid=1502442162&sr=8-5&keywords=Golowitsch )

Hinter den Kulissen

Insbesondere ein Kärntner Unternehmer übte einen bisher weithin unbekannten und im Blick auf das von der weit überwiegenden Bevölkerungsmehrheit in beiden Tirol sowie in ganz Österreich erhoffte Ende der Teilung des Landes fatalen Einfluss aus. Sein lautloses Mitwirken inkognito erstreckte sich nahezu auf den gesamten für den Südtirol-Konflikt zwischen Österreich und Italien bedeutsamen Geschehensablauf vom Kriegsende bis zur sogenannten „Paket“-Lösung Ende der 1960er Jahre, bisweilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen.
Der Mann hieß Rudolf Moser, war 1901 in Wien geboren und in der christlich-sozialen Bewegung politisch sozialisiert worden. In Sachsenburg (Kärnten) leitete er die „A. Moser & Sohn, Holzstoff- und Pappenfabrik“, und als Industrieller gehörte er der vor allem auf die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stark einwirkenden Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft an und war in deren „Bundessektion Industrie“ stellvertretender Vorsitzender des „Fachverbands der Papier-, Zellulose-, Holzstoff- und Pappenindustrie“. Mit dem ersten österreichischen Bundeskanzler Leopold Figl, den er als seinen „engsten Jugendfreund“ bezeichnete, verband ihn seit der gemeinsamen Zeit in der ständestaatlichen Schuschnigg’schen Wehrformation der „Ostmärkischen Sturmscharen“, wie er vermerkte, „in allen Belangen …. stets gegenseitige und vollständige Übereinstimmung und Treue“: Moser war „Gauführer“ in Kärnten-Osttirol, Figl hatte dieselbe Funktion in Niederösterreich inne.

De Gasperi Moser
Rudolf Moser (links im Hintergrund) traf sich häufig mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi, mit dem er persönlich befreundet war Foto: Archiv Golowitsch

In Italien, wohin seine Firma gute Geschäftskontakte unterhielt – auch und vor allem nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 an das mit Mussolini verbündete, NS-geführte Deutsche Reich – hielt sich Moser häufig für länger auf und kam mit namhaften Persönlichkeiten des faschistischen Staates ebenso wie mit katholischen Kreisen und dem Klerus in engen Kontakt. Moser, den auch Papst Pius XII. mehrmals in Rom persönlich empfing, wirkte zudem als Vertrauensmann des Vatikans. Insofern nimmt es nicht wunder, dass sich der die italienische Sprache mündlich wie schriftlich nahezu perfekt beherrschende und absolut diskret agierende Moser nach 1945 geradezu ideal für die Aufnahme, Pflege und Aufrechterhaltung einer trotz Südtirol-Unbill dennoch äußerst belastbaren Verbindung zwischen ÖVP und Democrazia Cristiana (DC) eignete, die sich weltanschaulich ohnedies nahestanden. Dazu passte, dass er sich der Rolle des (partei)politischen Postillons und verdeckt arbeitenden Unterhändlers mit geradezu missionarischem Eifer hingab.


Die zweite Seite des Artikels und damit mehr über die Rolle Mosers lesen Sie hier.


 

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