von apa 22.03.2017 11:13 Uhr

Wiener Banker nach Prozess auf freiem Fuß

Als freier Mann hat am Mittwoch ein Wiener Banker, der am 18. September 2015 in seiner Wohnung in Wien-Währing seinen Stiefbruder Eric J. (42) per Kopfschuss zu Tode brachte, das Landesgericht Korneuburg verlassen. Die Geschworenen verwarfen einstimmig die Mordanklage und glaubten dem 45-Jährigen, der ihnen von einem tragischen Schießunfall beim Hantieren mit seiner Pistole berichtet hatte.

APA

Das Schwurgericht verurteilte den Mann wegen grob fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen unbedingten Freiheitsstrafe. Die rund neun Monate, die er in Untersuchungshaft verbracht hatte, waren ihm ex lege auf seine Strafe anzurechnen. Da somit bereits zwei Drittel seiner Strafe als verbüßt galten, bekam der Banker noch im Gerichtssaal die vorzeitige bedingte Entlassung bewilligt.

Bei grob fahrlässiger Tötung wäre ein Strafrahmen von bis zu drei Jahren zur Verfügung gestanden. Dem 45-Jährigen wurden “zahlreiche Milderungsgründe” angerechnet, wie die vorsitzende Richterin Anna Wiesflecker darlegte. Er war bisher unbescholten und hatte sich zur fahrlässigen Tötung schuldig bekannt. Mildernd wurden auch die lange Verfahrensdauer sowie die teilweise Schadensgutmachung berücksichtigt – der Banker hat den beiden Kindern seines Stiefbruders, die er zu Halbwaisen gemacht hat, bisher rund 100.000 Euro bezahlt und sich bereit erklärt, den Minderjährigen zukünftig und bis auf Weiteres monatlichen Unterhalt zu leisten.

Sein Mandant sei bereit, den Kindern zumindest in finanzieller Hinsicht “den Vater, den Verlust des Vaters zu ersetzen”, bemerkte dazu Verteidiger Rudolf Mayer. Das Gericht ordnete das auch explizit an, indem es den 45-Jährigen verpflichtete, den zwei Kindern vorläufig 900 bzw. 600 Euro pro Monat im Voraus zu überweisen. Der Mutter des getöteten Eric J. muss er knapp 7.400 Euro für die Begräbniskosten und psychotherapeutische Behandlung sowie ein Trauerschmerzengeld von 7.500 Euro bezahlen. Die Schwester bekam ein Trauerschmerzengeld von 5.000 Euro und weitere 5.400 Euro für psychologische Betreuung zugesprochen.

Sämtliche gerichtliche Entscheidungen sind bereits rechtskräftig. “Ich nehme das Urteil an”, meinte der 45-Jährige nach kurzer Rücksprache mit seinem Verteidiger. Der Mann wirkte während der Urteilsverkündung nach außen hin beinahe emotionslos und unbewegt. Auch Staatsanwältin Gudrun Bischof akzeptierte das Urteil, sie hatte auch gegen die gerichtlich verfügte Enthaftung keine Einwände.

Dass der spektakuläre Prozess mit keiner Verurteilung wegen Mordes enden würde, hatte sich bereits am Morgen des dritten Verhandlungstages abgezeichnet, als die Staatsanwältin von ihrer Anklage abrückte. “Es ist eine Tatsache, dass sich Beweismittel in den vergangenen beiden Tagen anders als bisher dargestellt haben”, räumte Bischof in ihrem Schlussvortrag ein. Sie erinnerte daran, dass die vom Wiener Landeskriminalamt beigezogene deutsche Blutspurenmuster-Analytikerin Silke Brodbeck im Vorfeld davon ausgegangen war, dass der angeklagte Banker zum Zeitpunkt der Schussabgabe sich an einem anderen als dem von ihm angegebenen Ort befunden haben musste.

Brodbeck hielt den vom 45-Jährigen beschriebenen Tathergang für weniger wahrscheinlich als ihre Hypothese, derzufolge sich der Banker hinter bzw. neben der Küchenzeile befunden und im Stehen geschossen hätte, was nach Ansicht Brodbecks eher auf ein beabsichtigtes Schießen hindeutete. Das konnte sie allerdings nicht mehr aufrechterhalten, als Gerichtsmediziner Christian Reiter am Dienstagabend in seinem Gutachten nachwies, dass der Kopfschuss vor allem eine starke Blutung aus dem linken Ohr und nicht – wie von Brodbeck angenommen – primär aus dem linken Auge bewirkt hatte. Reiter hielt wörtlich fest, der Schusskanal und die Blutspuren wären mit der Version des Angeklagten “in Deckung zu bringen”.

Der Banker hatte angegeben, er wäre nach einem Grillabend und reichlichem Alkoholkonsum auf einem Barhocker seinem Stiefbruder direkt gegenüber gesessen, hätte die Beine übereinandergeschlagen und seine Glock-Pistole, die er Eric J. zeigen wollte, mit einer Hand auf einem Knie abgelegt. Als er sich mit der anderen Hand nach hinten streckte, habe sich unbeabsichtigt ein Schuss gelöst. Eric sei “mein bester Freund” gewesen, er hätte keinen Grund gehabt, auf diesen zu schießen, versicherte der Angeklagte. Dass sein Stiefbruder und seine Ex-Frau – eine Wiener Staatsanwältin – über ihre Smartphones Anzüglichkeiten austauschten oder gar ein intimes Verhältnis pflegten, hätte er nicht mitbekommen bzw. ausgeschlossen.

Die Blutmusterspuren-Expertin hatte unter dem Eindruck des gerichtsmedizinischen Gutachters schließlich einräumen müssen, es wären auch die vom Angeklagten beschriebene Schussposition und -haltung “möglich”. “Wenn Brodbeck das sagt, führt das zu einer ganz anderen Schlussfolgerung”, betonte Staatsanwältin Bischof. Die Version des Angeklagten sei “nicht auszuschließen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass er sich nicht genau erinnern kann”. Sie forderte die Geschworenen daher auf, “die richtigen Schlüsse aus den Beweisen zu ziehen. Für eine Verurteilung im Sinn der Anklage müssen Sie von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein. Wenn Sie Zweifel haben sollten, müssen Sie ihn für die für ihn günstigere Straftat verurteilen”.

Als Staatsanwältin sei sie “der Objektivität verpflichtet”, bekräftigte Bischof. Ein im Raum stehendes, mögliches sexuelles Verhältnis zwischen dem Getöteten und der Ex-Frau des Angeklagten habe sich “nicht nachweisen lassen”. Es sei “auch nicht bestätigt, dass der Angeklagte ein eifersüchtiger und kontrollierender Mensch ist”.

Verteidiger Mayer zollte der Staatsanwältin für ihren Vortrag Respekt: “In 36 Jahren als Verteidiger habe ich es erst ein einziges Mal erlebt, dass ein Staatsanwalt diese Größe hat. Das ist Fairness pur. 90 Prozent wären aufgestanden und hätten weiter geschrien.” Er schließe sich daher “vollinhaltlich der Staatsanwältin an, was ich selten mache”, hatte Mayer die Geschworenen um einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung ersucht.

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite