von apa 18.03.2017 11:23 Uhr

“Kasimir und Karoline” im Volkstheater

Tief in der Werkausgabe gegraben, unterschiedliche Fassungen ineinander verwebt und mit Guy Debords Theorie über “Die Gesellschaft des Spektakels” angezuckert hat Philipp Preuss seine Deutung von Ödön von Horvaths “Kasimir und Karoline”, die am Freitagabend im Volkstheater zur etwas verwackelten Premiere kam. Durch die äußere wie innere Krise taumeln Stefanie Reinsperger und Rainer Galke.

APA

Die Herausgeber der kommentierten Horvath-Gesamtausgabe werden sich freuen: Der 1974 in Vorarlberg geborene Regisseur Preuss, der in der vergangenen Saison mit seiner eigenwilligen “Romeo und Julia”-Inszenierung die Kritik spaltete, hat seine Hausübung gemacht und ist tief in die Entstehungsgeschichte des zeitlosen Volksstücks eingedrungen, hat Figuren durch ihre frühere Inkarnation in anderen Fassungen erweitert und verknappt, eine philosophische Metaebene hinzugefügt und am Ende eine eigenständige neue Fassung von “Kasimir und Karoline” hingelegt, die die zwischenmenschlichen Abgründen in Zeiten der sozioökonomischen Orientierungslosigkeit solide ausleuchtet.

Allein die Umsetzung hätte mehr Fantasie vertragen: Denn auch wenn sich das Personal des Oktoberfests wahlweise auf der Festwiese, beim Tobogan, im Abnormitäten-Kabinett oder am Parkplatz tummelt – am Ende ist es immer “innen” oder “außen”. Außen, das ist der leere Raum rund um die mit Leuchtketten verhängte Drehbühne, die während der pausenlosen zweistündigen Aufführung unablässig in Bewegung bleibt. In ihr herrscht im innersten Zirkel der “Direktor”, Herr über die Abnormitäten und leichten Mädchen (schmierig: Thomas Frank). Ihn umgeben – für das Publikum unsichtbar – Achterbahn und Co. Und hier kommt die unvermeidliche Regieentscheidung zum Tragen, die dem Abend seinen Charakter verleiht und selbigen den Protagonisten oft nimmt: die Videoübertragung aus dem Inneren des Spektakels.

Im wahrsten Sinne des Wortes außen vor bleibt da nur Kasimir, den Rainer Galke als rechtschaffenen Verlierer gibt, der in seinem grauen Anzug über weite Strecken des Abends schlaff an der Rampe sitzt und die Beine ins Publikum baumeln lässt. Zentrum aller Aufmerksamkeit ist Stefanie Reinspergers Karoline, die als moderne Bildungsverliererin in fettigem Bob und zu kurzem Rock durch die Szene wirbelt. Wenn sie schreiend ihre Schüchternheit verteidigt, ist das ein ganz starker Moment. Als ihr (hier aufgewerteter) Verehrer Schürzinger tritt Sebastian Klein als gut gekleideter Aufschneider in Erscheinung, dem eine angekündigte Beförderung seines Chefs, dem Kommerzienrat Rauch, reicht, um Karoline im Stich zu lassen. Zuvor lecken die beiden jedoch immer wieder genüsslich an ihren Bananen.

Karoline stürmt immer wieder ins Vergnügen, ins Innere des glitzernden Karussells (Bühne: Ramallah Aubrecht), aus dem sie und ihre Mitstreiter sich via Live-Video melden, das abwechselnd auf eine kleine Leinwand oder gleich auf den Leuchtkettenvorhang selbst projiziert wird. Das gibt schöne Bilder, das erinnert an Snapchat und Co., die ständige Zurschaustellung der Selfie-Kultur, aber durch die zeitliche Verzögerung der Übertragung entsteht eine auf Dauer nervtötende Bild-Ton-Schere, die am Theater nichts zu suchen haben sollte.

Da freut man sich, wenn einem auf der freien Wiese Michael Abendroth als Kommerzienrat Rauch und Lukas Holzhausen als Richter Speer begegnen: Schmieriger könnten alte, geile Säcke kaum sein. Das unterstreicht Preuss herrlich in einer kurzen Szene, in der er die beiden lediglich abwechselnd rülpsen lässt und ihren anzüglichen Dialog auf die Leinwand projiziert.

Dass der frisch arbeitslos gewordene Kasimir und die nach Höherem strebende Karoline noch nicht ganz am Boden der Gesellschaft angekommen sind, verdeutlichen die schmerzvollen Auftritte von Kaspar Locher und Birgit Stöger als Merkl Franz und seine Erna. Ein abgefucktes Prolo-Paar par excellence. Lochers raue Gewalttätigkeit und Stögers intensive Resignation, die sich in leerem Blick, staksigem Gang und zugedröhntem Langsamsprechen äußert, gehören zu den stärksten Momenten des Abends. Übertrieben hat man es hingegen mit den schrillen Kurzauftritten der leichten Mädchen Maria und Elli (Seyneb Saleh und Nadine Quittner), die wie aus der Pistole geschossen (und daher kaum verständlich) Guy Debords Theorie über “Die Gesellschaft des Spektakels” in die Kamera schreien. Castorf lässt grüßen.

Und so zerfällt Preuss’ Inszenierung in einzelne mitreißende Szenen, schlägt jedoch nicht wirklich einen dramaturgischen Bogen. Weniger wäre hier mehr gewesen, Abwechslung auch. Das sich unablässig drehende, blinkende Ungetüm hat das Potenzial, den Zuschauer bis spät in die Nacht zu verfolgen. Auch der von Lana Del Reys “Video Games” getragene Soundtrack dürfte noch nachhallen. Der Applaus fiel am Ende dieses Abends, der sich länger anfühlt, als er ist, durchaus ermattet aus.

(S E R V I C E – “Kasimir und Karoline” von Ödön von Horvath, Fassung von Roland Koberg und Philipp Preuss. Regie: Philipp Preuss. Mit u.a. Rainer Galke, Stefanie Reinsperger, Sebastian Klein, Kaspar Locher und Birgit Stöger. Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Eva Karobath. Weitere Termine: 21., 24. und 31. März, 4., 5., 8., 24. und 27. April. Infos und Karten unter www.volkstheater.at)

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