von apa 20.02.2017 11:17 Uhr

Neumeier-Doppelschlag an Staatsoper umjubelt

Zwei Ballette, deren Entstehung nur sechs Jahre auseinanderliegt und die doch Welten trennt, hat Tanzguru John Neumeier am Sonntag an der Wiener Staatsoper in den Lichtkegel gerückt. Der 1907 entstandene “Pavillon d’Armide” sowie der Moderne-Klassiker “Sacre du Printemps” aus 1913 bilden einen Doppelabend, der letztlich durch einen Mann als Klammer zusammengehalten wird: Vaslav Nijinsky.

APA (dpa)

Schon lange ist Neumeier vom legendären Star des Ballets Russes fasziniert, der einst aus der Compagnie ausgeschlossen wurde und Jahrzehnte in geistiger Umnachtung zubrachte. So stellt sein 2009 uraufgeführter “Le Pavillon d’Armide” bereits die dritte Arbeit des Choreografen dar, die den legendären Tänzer in den Mittelpunkt rückt.

Dabei handelt es sich nicht um eine Rekonstruktion des alten Ballets-Russes-Werks, sondern eher um eine Reflexion, gleichsam eine Neuinterpretation mit leicht variierten Mitteln. Im Zentrum der Rahmenhandlung steht Nijinsky, der sich wie das reale Vorbild mittlerweile im Sanatorium befindet und von den Schatten der Vergangenheit heimgesucht wird – eine Paraderolle für Mihail Sosnovschi, der seinen Protagonisten düster-leidend anlegt.

Die großen Rollen seiner Karriere gehen ebenso in den Pas de deux mit ihm wie sein verflossener Liebhaber Sergei Djagilew, der Leiter des Ballets Russes. Diese Rückblenden hält Neumeier entsprechend in der russischen Tradition und setzt mit dem bekannten Pas de Trois auch auf eine exakte Kopie aus 1907.

Die Rahmenhandlung hingegen trägt schon mehr die bekannte Handschrift des Hamburger Ballettchefs, agiert eher antiklimaktisch zur spätromantischen Musik Nikolai Tscherepnins. Am Ende gibt Neumeier – seit kurzem offiziell um drei Jahre auf 78 gealtert, hatte er doch zugegeben, sich als junger Ballettschüler jünger gemacht zu haben – bereits einen Ausblick auf “Le Sacre”, dessen erste Takte mit dem berühmten Fagottsolo anklingen.

“Sacre” – einst in der Nijinsky-Choreografie uraufgeführt – bildet dann in der zweite Hälfte des Abends den harten Kontrast abseits des Handlungsballett. Obgleich die Arbeit bereits aus 1972 stammt, wirkt sie doch ungleich zeitgenössischer als die 37 Jahre später entstandene Choreografie.

Lange dauert es, bis die Strawinski-Musik anhebt und den Fluss schreitender Leiber unterbricht. Doch auch dann setzt Neumeier weniger auf Archaik als viele Apologeten, sondern eher auf skulpturale Bilder, die mit Licht und Primärfarben zu ikonografischen Szenen arrangiert werden.

Die Synchronität steht im Fokus, nicht die Individualität der Tänzer, die sich zwischen mechanistischen Maschinenbewegungen und archaischem Primatengestus bewegen und als Apotheose zur Lichtskulptur gruppiert werden. Im zweiten Teil schließlich lösen sich durch Videoprojektion die Körper der Tänzer beinahe vollständig auf.

Dann schält sich Rebecca Horner aus dem Dunkel zu ihrem Solo – eine Kraftleistung beeindruckenden Ausmaßes, ein herz- und oberschenkelmuskulaturzerreißender Kampf gegen die Schwerkraft und die Körpergrenze. Neben Horner hat Halbsolist Franceso Costa seine große Stunde, der von kraftvollen Sprüngen über das sinnliche Pas de deux das Urbild männlicher Kraft im Frühlingsopfer darstellt. Am Ende gab es für alle Beteiligten den verdienten Jubel – inklusive Dirigent Michael Boder, der mit 58 Jahren sein Debüt als Ballettdirigent feiern konnte.

Rebecca Horner wurde anschließend zur Solotänzern des Wiener Staatsballetts ernannt. Horner ist seit 2007 beim Staatsballett, seit 2015 als Halbsolistin.

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