Redaktion UT24

10.02.2016

Von Nicht-Menschen

Nazis und Faschisten vor dem Siegesdenkmal in Bozen

Eine kleine Geschichte von Georg Dekas

Wenn es möglich wäre, ein ganz bestimmtes Denkmal aus Marmor, das in der Bozner Neustadt steht, irgendwo anders aufzustellen, dann könnte man sich nach dem „Foro Imperiale“ zu Rom keinen sinnenhafteren Ort vorstellen als die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Dann nämlich würden die Äthiopier jeden Tag um einen nachgeäfften römischen Triumphbogen herumkurven, und auf sie hinunter schaut ein mit Helm bewehrtes Mussolini-Gesicht aus Stein. Die Inschrift am Querbalken verkündet stolz, dass hier „den anderen“ Gesetze, Sprache und Künste beigebracht und sie dadurch überhaupt erst „kultiviert“ wurden. Aus Nicht-Menschen wurden Menschen gemacht, sinngemäß. Die Äthiopier würden diesen Spruch lesen müssen, nicht mehr die Tiroler, die das seit 90 Jahren übersehen wollen müssen. In Addis hingegen könnte dann das stolze und Jahrtausende alte Bergvolk am Horn von Afrika jeden Tag darüber sinnieren, wie ihm diese Worte aus dem Munde eines in seinem Lande hoch verehrten Volksherrschers schmecken, der Äthiopien 1935 angegriffen und dessen Volk aus allen Rohren, mit Blei, Gas und Nitroglyzerin, niedermetzelte.

“Indem man es ganz einfach schleift oder an den Absender zurückschickt”

Jetzt nehmen wir mal an, dass auch 70 Jahre nach dieser Großtat ohne Sieg noch die eine oder andere italienische Familie in Addis lebte. Und nehmen wir weiter an, dass eine junge Frau aus einer dieser Familien an einer öffentlichen Diskussion teilnähme, in der über die zukünftige Verfassung des Staates Äthiopien beraten werden soll. Nehmen wir weiter an, sie träfe dort auf ein paar Äthiopier, die der jungen Frau geradewegs und ganz ohne koloniale Servilität ins Gesicht sagen, dass das mit dem Spruch auf dem Denkmal schon gar nicht ginge und dass sie sich schon gar nicht als „andere“ und als Beglückte empfinden, sondern dass sie schon vor der Ankunft der weißen Invasoren eine eigene, ja sogar mit eine christliche Kultur gehabt hätten, und dass sie als Italienerin gut daran täte, sich von diesem Denkmal da in der Mitte der Hauptstadt zu distanzieren, weil es das ganze Volk beleidige. Ja wie sollte das denn gehen? Indem man es ganz einfach schleift oder an den Absender zurückschickt, sagen die Äthiopier. Stellen wir uns jetzt vor, die junge Frau, die selbstverständlich schon lange ein Heimatrecht im Land der weltbesten Langstreckenläufer hat und von den Leuten dort voll angenommen wird, diese junge Frau würde jetzt diesem einen, diesen beiden, oder auch nur drei Äthiopiern antworten, sie seien „Nicht-Menschen“, weil sie nicht verstehen könnten oder verstehen wollten, dass die Taten, die Lieder, die Worte und die Denkmäler ihrer Großväter in diesem afrikanischen Land ein selbstverständliches Erbe von ihr – mehr noch, ein unverzichtbarer Teil ihres Wesens seien.

Die einmalige Chance, etwas Gemeinsames aufzubauen

Nun, in Addis Abeba kann sich so eine traurige Geschichte nicht mehr zutragen. Italien hat sich dort nicht als Staatsgewalt festsetzen und behaupten können. Im Kronland Tirol hat es das Schicksal anders gewollt. Hier hat sich die Rede von den Nicht-Menschen tatsächlich vor Kurzem zugetragen. In Meran. Eine junge, hier geborene und aufgewachsene Italienerin soll in einer Gesprächsrunde am Autonomie-Konvent jene Tiroler als „Nicht-Menschen“ bezeichnet haben, die den Standpunkt vertraten, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen der ansässigen deutschen und ladinischen Bevölkerung und den ebenfalls ansässigen Nachkommen der eingewanderten Mitgewinner von 1921 nur dann und nur in dem Ausmaß gelingen könne, wie diese Nachkommen sich von den großspurigen Zeugnissen ihrer Alten trennten und das Land, in dem sie geboren wurden, nicht mehr als ein den Nicht-Menschen entrissenes Gebiet ansehen würden, sondern als ein Land mit dem althergebrachten Namen Tirol, in dem drei Volksgruppen, die alle von der Geschichte durchgeschüttelt und durchgerüttelt worden sind, die einmalige Chance haben, sich etwas Gemeinsames aufzubauen.

Vorbedingung 1: Keiner bilde sich ein, dem anderen qua „Rasse“, „Kultur“ oder „Herrschaft“ überlegen zu sein. Weder Fascio noch Nazi. Vorbedingung 2: Ein jeder stehe fest in seiner gewachsenen Sprache und Kultur und teile sie fair mit seinem Nächsten. Vorbedingung 3: Ein jeder bringe ein kleines Opfer und vermeide, was den Nächsten in seinem Sosein ohne Not herabsetzt. Wir sind in Südtirol schon weit gekommen auf diesem Weg. Zu Ende ist der Weg noch nicht. Entschlossenheit tut not. Denn schon stehen neue Menschen vor der Tür, die uns fordern, das Menschsein und die Gemeinschaft klarer und überzeugender zu denken als bisher. Für beides gibt es mehrere Lösungsmöglichkeiten. Mindestens eine davon, nämlich jene, die „Nicht-Menschen“ im Programm hat, wird auf friedlichem Wege wohl nicht umgesetzt werden können.

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