Redaktion UT24

20.01.2016

Das Jahr, in dem die deutsche Schule abgeschafft wurde

Foto: Josef-Bachlechner-Grundschule

von Lukas Steinwandter

„Oggi parleremo di Andreas Hofer“, sagt eine junge Lehrerin vor einer Schulklasse im Pustertal. „Der aus dem Passeiertal, Frau Lehrerin?“, fragt ein Schüler. „In Italiano, per favore“, ermahnt die Pädagogin den Zehnjährigen. Eine Szene wie diese könnte sich nicht nur in einer italienischen Schule abspielen, sondern bald schon flächendeckend auch in den deutschen Schulen Südtirols.

Die über mehrere Jahrzehnte hart erstrittene deutsche Schule droht nun verwässert zu werden. Vor weniger als hundert Jahren kämpften Frauen und Männer im Untergrund für den Erhalt der deutschen Schule in Südtirol – und bezahlten dafür auch mit dem Leben. Ausgerechnet jene Partei, die durch jahrelange politische Bestrebungen sich dafür einsetzte, dass das Recht auf Muttersprache, auch und insbesondere in der Schule, rechtlich konstituiert wurde, hebelt dieses Recht nun aus. Was die Faschisten nicht schafften, gelingt nun in kleinen Schritten der Landesregierung. Wie kam es dazu? Und welche Folgen wird dies über kurz und lang haben?

Umstrittene CLIL-Methodik

Mit dem Beschluss vom 8. Juli 2013 legte die Südtiroler Landesregierung den Grundstein für den CLIL-Unterricht. Das Kürzel steht für Content and Language Integrated Learning. Bei dieser Unterrichtsmethodik werden einzelne Sachfächer oder Teile davon in einer Fremdsprache unterrichtet. Im Anschluss an diesen Beschluss starteten Pilotprojekte in mehreren Klassen am Oberschulzentrum Mals, der Fachoberschule für Tourismus und Biotechnologie „M. Curie“ Meran, der Wirtschaftsfachoberschule Meran „F. Kafka“, am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium Meran und am Sprachengymnasium Bozen.

Beachtenswert an diesen Pilotprojekten war, dass weder ein Vergleich der Noten mit und ohne CLIL-Methoden stattfand, noch Einzelbewertungen gemacht wurden. Die für den CLIL-Unterricht aufgebrachten Stunden wurden nicht aufgestockt, sondern vom bestehenden Unterricht verwendet, wie aus einer Landtagsanfrage von März 2015 hervorgeht.

Für Kritik sorgte außerdem, dass der Fachunterricht auf Italienisch von Lehrern deutscher Muttersprache durchgeführt wurde. Die Mittelschullehrerin und Kulturreferentin des Südtiroler Schützenbundes, Margareth Lun, kritisierte zudem, dass 1.100 Italienischstunden bis zur dritten Klasse Mittelschule und 1.700 Stunden bis zur Matura völlig ausreichen würden. „Wenn die Schüler da zu wenig lernen, dann machen die Lehrer etwas mit der Unterrichtsmethode falsch!“, betont Lun.

Autonomie adé

Auch volkstumspolitisch gibt es Bedenken. Der deutschsprachige Unterricht ist im Autonomiestatut garantiert. Im Artikel 19 des Autonomiestatus der Provinz Bozen-Südtirol heißt es: „In der Provinz Bozen wird der Unterricht in den Kindergärten, Grund- und Sekundarschulen in der Muttersprache der Schüler, das heißt in italienischer oder deutscher Sprache, von Lehrkräften erteilt, für welche die betreffende Sprache ebenfalls Muttersprache ist.“ Durch den CLIL-Unterricht werden deutsche Stunden deutlich gekürzt. „Was passiert, wenn ein Schüler bei einem Test oder im Zeugnis eine negative Note erhält und er sagt, in Deutsch hätte er alles verstanden und eine positive Note bekommen?“, gibt Lun zu bedenken.

Auch in der Wissenschaft gibt es Zweifel ob der Effizienz der CLIL-Methodik. Laut dem italienischen Schulamt liegt bislang keine Studie über den Erfolg des Immersionsunterrichtes vor, obwohl er dort schon seit vielen Jahren praktiziert wird. Studien, die zeigen, dass frühkindliches Sprachenlernen keinen Vorteil für Schüler bringt, existieren dagegen schon. Die Wissenschaftlerin Carmen Muñoz von der Universität Barce­lona beobachtete den Lernerfolg von Schülern, die frühen Fremdsprachenunterricht erhalten. Die 2011 veröffentlichte Studie ist die bis dato langfristigste in diesem Bereich. Denn Muñoz konnte die Beobachtungsfrist auf durchschnittlich vierzehn Jahre ausdehnen. Die Forscherin kam zu dem Schluss, dass es bei fünf Wochenstunden Fremdsprachenunterricht ganze 245 Jahre dauern würde, dass sich ein früher Start auszahle. Es könne keine Korrelation hergestellt werden zwischen einem frühen Beginn des Fremdsprachenunterrichts und den gemessenen Sprachkompetenzen. Stattdessen sei die Lernzeit (inklusive formellen und ­informellen Kontakts zur Sprache) entscheidend.

Die Hybris des Philipp Achammer

Trotz dieser wissenschaftlichen, pädagogischen und rechtlichen Bedenken forcierte die Landesregierung – allen voran Philipp Achammer und seine Entourage – im Jänner dieses Jahre die Implementierung der CLIL-Methodik an deutschen Schulen in Südtirol. Dabei wurde das Mindestalter der Schüler, die per Immersionsunterricht ausgebildet werden sollen, auf die zweite Klasse Oberschule gesenkt. Der zuständige Landesrat Philipp Achammer sei in der Entscheidung von der deutschen Abteilung des Landesschulrats „gestärkt“ worden, wie er in einer Aussendung schreibt. In diesem Rat sitzen derzeit auch bekennende Linke wie der Gewerkschafter Francesco Bruccoleri oder die Landtagskandidatin des Partito Democratico Cornelia Brugger.

Die CLIL-Methode findet mittlerweile allerdings nicht nur an Oberschulen statt. Auch einige Grundschulen kürzen mittlerweile den deutschen Unterricht, um Sachfächer in italienischer Sprache zu unterrichten. Doch der Immersionsunterricht wird längst auch schon an Grundschulen angewandt. Von der Öffentlichkeit wird das weitgehend ausgeblendet. Im Schulsprengelprogramm von Olang war bereits im Schuljahr 2014/2015 festgelegt, dass in mehreren Grundschulen „die Fächer Naturwissenschaft, Geschichte und Geografie bis zur Hälfte der Stunden des vorgesehenen Jahresstundenkontingentes von Italienischlehrerinnen in italienischer Sprache unterrichtet“ werden. Begleitet wurde das Experiment von Oriana Primucci, die für alle Sprachprojekte im Pustertal zuständig ist. Primucci ist Italienischlehrerin an der „K. Meusburger“-Schule in Bruneck. Fragen zur CLIL-Methodik konnte sie gegenüber UT24 ausschließlich auf Italienisch beantworten.

Es geht auch anders

bachlechner

Deutsch ist auch dabei – Foto: Josef-Bachlechner-Grundschule

Dass Sprachenprojekte an Schulen auch gänzlich anders aussehen können wie die umstrittene CLIL-Methodik unter Achammers Fuchtel, zeigt die Josef-Bachlechner-Grundschule in Bruneck. Direktorin Elisabeth Brugger erarbeitete gemeinsam mit Kolleginnen und Experten sogenannte Sprachklassen. Hierbei können Eltern ihre Kinder freiwillig in eine auf Sprachen spezialisierte Klasse einschreiben, in der dann Kinder zusätzlich zu den normalen Unterrichtsstunden fünf Stunden pro Woche Deutsch, Italienisch und Englisch lernen.

„Sprachlernen bedeutet Sprachhandeln“, betont Brugger gegenüber UT24. Bei den zusätzlichen Stunden, bei denen immer eine Deutsch-, Italienisch- und Englischlehrerin anwesend ist, lernen die Kinder praxisbezogen. „Wir gehen von Deutsch aus und orientieren uns am dynamischen Modell der Mehrsprachigkeit, das besagt, dass durch die Vernetzung der Sprachen, auch die Muttersprache gefördert wird“, erklärt die Direktorin. Während bei der CLIL-Methode deutsche Unterrichtsstunden wegfallen, haben die Schüler der Sprachklassen mehr Deutschstunden.

Was bringen italienische Fachausdrücke im Alltag?

Jene Methode, die von Achammer und dem Landesschulrat mit Druck vorangetrieben wird, sieht die erfahrene Grundschuldirektorin skeptisch. „Von der Didaktik in der Grundschule aus sehe ich Bedenken bei CLIL, dass die Kinder auf einen bestimmten Fachwortschatz eingegrenzt sind. Wenn zum Beispiel das Fach Mathematik auf Italienisch gelehrt wird, lernen die Kinder nur einen begrenzten Wortschatz dazu“, außerdem fehle ihnen dann auch diese Fachsprache auf Deutsch. Für Brugger sei es wichtig, „dass die Schüler mit der Sprache dann im Alltag handeln können und ein Mathe-Wortschatz hilft dann wahrscheinlich nicht.“ Für Brugger sei „vielleicht eine Stunde CLIL-Unterricht in der Woche bereichernd“, doch mehr oder gar ein ganzes Fach auf jeden Fall nicht. Würde sie einem anderen Schuldirektor eine Methode empfehlen, würde das die Bachlechner-Methode sein, erklärte sie.

So ganz überzeugt von der CLIL-Methodik ist auch Achammer nicht. Nach Bekanntgabe der Herabsetzung des Alters für Schüler, die per Immersion unterrichtet werden, gab er zu bedenken, „dass die Einführung des CLIL-Unterrichts in der Abschlussklasse der Oberschule weniger zielführend sei, weil der Unterricht schon stark auf die staatliche Abschlussprüfung und deren Anforderungen ausgerichtet ist.“ Entweder, der CLIL-Unterricht ist nicht geeignet, um die staatliche Abschlussprüfung zu bestehen, oder dieser staatliche Unterricht ist nicht geeignet, um praxistaugliche Fremdsprachenkenntnisse zu vermitteln. So oder so sind es die Schüler und die deutsche Sprache, die die Verlierer dieses Experiments sein werden.

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Möchtest du die neuesten Meldungen auch auf Facebook erhalten?

Hier
klicken

Neueste Meldungen

Welschtirol

Premio Innovazione Euregio

0 Kommentare · 25.04.2024
Südtirol

Chemieolympiade: Junge Südtiroler zeigen ihr Können im Landeswettbewerb

0 Kommentare · 25.04.2024
Welschtirol

Nuovo ispettore dei VVF

0 Kommentare · 25.04.2024
Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite