Rupert Gietl

01.01.2016

Renzi 2015: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Italiens Premier Matteo Renzi – Koalitionspartner der Süd-Tiroler Volkspartei – feierte kurz vor Jahreswechsel via Videobotschaft seine Erfolge. Die Wahrheit sieht jedoch ein wenig anders aus. Eine Gegenüberstellung.

Matteo Renzi, der italienische Ministerpräsident hat in Brüssel während der italienischen EU-Ratspräsidentschaft einen typisch italienischen Eindruck hinterlassen ...

So eine Bilanz der Tageszeitung Fatto Quotidiano.

Die italienische Tageszeitung erscheint mit einer durchschnittlichen Auflagenstärke von rund 500.000 Stück pro Tag. Sie wurde 2009 gegründet und finanziert sich nur über Werbung und Verkaufserlös, sie lehnt jede staatliche Förderung ab.

Dieses Finanzierungsmodell soll die Unabhängigkeit des Mediums garantieren. Selbsterklärtes Hauptziel ist die Verteidigung der Verfassung. Man stehe weder rechts noch links.

Wunsch und Wiklichkeit

 Alle mögen die Fakten ohne Vorurteile und Ideologien bewerten: Die ersten 15 Erfolge, die mir in den Sinn gekommen sind.

So beginnt Italiens Premier Renzi die Aufzählung seiner Erfolge. Die Journalisten des Fatto Quotidiano, Chiara Brusini und Diego Pretini, haben diese mit den offiziellen Zahlen verglichen.

Bruttoinlandsprodukt

Das erste Mal seit drei Jahren Rezession mit 0.8% Wachstum im Plus.

Tatsächlich gibt es keine aktuellen Zahlen vom italienischen Statistikinstitut Istat. Dieses hat jedoch festgestellt, dass sich das Wachstum seit Beginn des Jahres sukzessive verlangsamt hat und zuletzt bei 0.2% lag.

Jobs Act

Die Arbeitslosigkeit ist von 13.2% auf 11.5% gesunken, es gibt 300.000 Beschäftigte mehr, viele davon unbefristet.

Die Arbeitslosenrate wird durch die Zahl jener verfälscht, die es aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen und von der Arbeitslosenquote nicht mehr erfasst werden. (Zuletzt 32.000 in einem Monat). Zudem gibt es zur Zeit 23.000 Menschen weniger in unbefristeten Arbeitsverhältnissen, als beim Inkrafttreten des Jobs Act im März 2015.

Wahlrechtsreform

Vor einem Jahr schien die Wahlrechtsreform im Parlament festzustecken. Jetzt ist sie in Kraft und garantiert die freie Wahl der Bürger und die Stabilität der Regierung.

Tatsächlich wird die Ratifizierung des neuen Wahlgesetzes ein Meilenstein von Renzis Jahr 2015 bleiben. Es liegen aber noch mehrere Einsprüche gegen das Gesetz beim Verfassungsgericht und zudem wurden bereits Stimmen laut, das Gesetz wieder zu ändern.

Steuersenkung

Wir haben die Steuer auf die Erstwohnung und Landwirtschaftssteuern abgeschafft, (…) mit der Wirtschaft geht es aufwärts, mit den Steuern abwärts.

Tatsächlich werden auf Grund des Stabilitätsgesetzes die Einnahmen des Staates im Jahr 2016 um 10.6 Milliarden Euro steigen, 2017 um weitere 20.7 Milliarden und 2018 noch einmal um 25 Milliarden. Wie es zur Zeit scheint, kann eine Anhebung der Gebühren und der Mehrwertsteuer noch vermieden werden.

Verfassungsreform

Die Verfassungsreform ist auf der Ziellinie. Vorher werden wir aber noch das Volk in einem Referendum zu diesem Paket der Vereinfachung befragen.

Im kommenden Herbst wird es ein bestätigendes Referendum zur Verfassungsreform geben. Dieses wird aber nicht von der Regierung beantragt, sondern von mindestens einem Fünftel der Mitglieder einer Parlamentskammer. Was die Vereinfachung betrifft, wird sich mit der Umwandlung des Senats einiges ändern. Im Detail fehlen aber noch zahlreiche Regelungen für die neuen Abläufe bei der Gesetzgebung. Ob nachher tatsächlich eine Vereinfachung übrig bleibt, ist zur Zeit noch völlig offen.

Migration

Vor einem Jahr schien die Einwanderung noch ein rein italienisches Problem zu sein. Heute wird es – auf italienische Mahnungen hin – als europäisches Problem angegangen.

Tatsächlich scheint die Europäische Kommission heute aktiver an das Migrationsproblem heranzugehen, als noch vor einem Jahr. Dass dies auf Grund italienischer Mahnungen geschehen sei, ist schwer zu belegen. Hier scheint viel mehr Deutschland der Meinungsbildner gewesen zu sein. Dem guten Willen der EU stehen bis heute nur wenige Ergebnisse gegenüber. Laut ital. Innenministerium wurden erst 184 von geplanten 40.000 Migranten auf andere EU-Länder weiterverteilt. Darüber hinaus läuft ein EU-Verfahren gegen Italien, da es dort unterlassen wurde, den Einwanderern die Fingerabdrücke zu nehmen.

Verwaltungsreform

Vor einem Jahr steckte die Verwaltungsreform fest. Nun ist sie Gesetz und die ersten Durchführungsbestimmungen werden im Jänner erlassen.

Das Gesetz zur Verwaltungsreform wurde am 4. August vom Senat genehmigt. Die Regierung hatte angekündigt, die Durchführungsbestimmungen zwischen September und Jahresende 2015 zu beschließen. Bis heute gibt es noch keine einzige.

Schulreform

Die Schulreform ist auf dem Weg. Tausende Lehrer haben die Gewissheit, mit ihren Schülern arbeiten zu können.

Hierzu gibt es keine Vergleichsdaten. Die angekündigte Einstellung von 100.000 Lehrern wird erst im Juni 2016 abgeschlossen sein.

 Justizreform

Im Bereich Justiz haben wir einige der ewigen Streitpunkte in Gesetzen geregelt, wie z.B. Bilanzfälschung, Korruption, Verjährung, Umweltvergehen,… Dank dieser Reformen ist die Zahl der offenen Verfahren um 20% gesunken.

Tatsächlich wurden zahlreiche Gesetze im Justizbereich beschlossen. Jenes zur Verjährung, wie von Renzi genannt, hängt aber noch im Senat fest. Was die Zahl der offenen Verfahren betrifft, bleibt die Aussage unklar. Im Zivilrecht sind aber auf Grund einer Neuregelung von 2014 um 20% zurückgegangen.

Kultur

Wir haben 20 Museen in die Selbstständigkeit entlassen und die Mittel für die Kultur in allen Bereichen erhöht.

Es ist korrekt, dass 20 große italienische Museen in die Selbstverwaltung entlassen worden sind, zudem stieg das Budget für das Kulturministerium um 27%. Zudem wurde ein Bonus von 500 Euro für Jugendliche beschlossen, den diese in kulturelle Aktivitäten investieren können. Streit gab es zuletzt darum, ob dieser Bonus auch Nicht-EU-Bürgern zustehen soll.

Weltpolitik

Vor einem Jahr sahen wir den Atomgesprächen in Wien vor Fernseher zu. Jetzt sind wir Protagonisten in den Gesprächen um Syrien und Libyen, Italiener werden an die Spitze des UN-Flüchtlingshochkommissariats und des CERN treten. Italien ist auf der Bühne der Weltpolitik zurück.

Tatsächlich nimmt Italien an den Gesprächen in Wien teil und ist auch an der Lösung des Libyen-Konflikts beteiligt. An die Spitze des UN-Flüchtlingshochkommissariats tritt Filippo Grandi, der aber schon seit 30 Jahren bei der UN arbeitet und zuletzt schon in hoher Funktion tätig war. Fabiola Gianotti leitet das CERN in Genf schon seit 2014.

Budgetdefizit

Vor einem Jahr baten wir die EU um Flexibilität. Nun gehört Flexibilität fix zu den Regeln und beträgt für Italien 1% des BIP, mehr als 16 Milliarden Euro.

Renzi geht davon aus, dass Brüssel Italien erlaubt, das Verhältnis zw. Defizit und BIP auf 2.4% zu erhöhen. Dies auf Grund von mehreren Ausnahmeregelungen, die zusammen tatsächlich 16 Milliarden Euro ergeben. Leider hat die EU die Entscheidung darüber bis Frühling 2016 ausgesetzt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eröffnet wird.

EU-Förderungen

Vor einem Jahr liefen wir Gefahr, Milliarden an EU-Förderungen zu verlieren, besonders in Pompeji. Jetzt haben wir dort 6 Häuser der Öffentlichkeit übergben und werden 2017 die gesamte Restaurierung abschließen.

Laut den zuständigen Stellen mussten am 31. Oktober 2015 immer noch 6.5 Milliarden an EU-Förderungen ausgegeben werden, um nicht definitiv verloren zu gehen. Was Pompeji betrifft: Es gibt Berechnungen, wonach mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nur rund 5% der antiken Stadt restauriert werden können.

EXPO

Vor einem Jahr wurde uns das wirtschaftliche Scheitern der Expo prophezeit. Aber sie war ein Erfolg. Zudem exportiert der Lebensmittelsektor Italiens doppelt so viel als alle anderen Branchen.

Die Bilanz der EXPO ist ein gut gehütetes Geheimnis. Die letzten Zahlen vom 21. Dezember legen nicht offen, ob die Weltausstellung mit Gewinn oder Verlust gewirtschaftet hat.

 Süditalien

Keine Regierung hat je mehr für den Süden getan, als diese. Über die Ergebnisse kann man streiten, aber nicht über die guten Absichten.

Im Stabilitätsgesetz sind kaum mehr als symbolische Gesten für den Süden enthalten. Da es keine Gelder gibt, lenkt man EU-Mittel, die sowieso für den Süden bestimmt waren, in Steuererleichterungen für die dortigen Unternehmen.


Kommentar des Autors:

Wie man eine durchwachsene Bilanz als Erfolg verkauft und Zahlen schön redet, hat Renzis “Freund” Landeshauptmann Kompatscher offenbar von seinem Vorbild aus Florenz gelernt, wie bei der Vorstellung des unseres Landeshaushaltes 2016 deutlich geworden ist.

Mit griffigen Parolen und etwas Ungenauigkeit im Detail, läßt sich gut Politik machen. Jenseits der Tatsachen…

Gut, dass immer jemand genauer hinsieht!


 

Lesen Sie außerdem:


 

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Möchtest du die neuesten Meldungen auch auf Facebook erhalten?

Hier
klicken

Neueste Meldungen

Politik

EU verhängt erstmals Sanktionen gegen israelische Siedler

0 Kommentare · 19.04.2024
Welschtirol

Pescatori in riunione

0 Kommentare · 19.04.2024
Sport

Zidane soll neuer Bayern-Trainer werden

0 Kommentare · 19.04.2024
Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite